28 Notenschrift und Notendruck tenstecher nicht in der Lage, ihre über Jahre hinweg intuitiv angewandten Regeln allgemeingültig zu formulieren. Dadurch wird dem computergestützten Notensatz in gewisser Weise die Grundlage entzogen, denn exakte Regeln und Vorschriften sind der essentielle Bestandteil jedes Computerprogramms. Bevor also ein geeig-netes Notationsprogramm entwickelt werden konnte, mußte das zugrundeliegende Regelwerk aufgedeckt und formalisiert werden. Angesichts der dargelegten Zweifel, unsere von analytischen und ästhetischen Aspekten beeinflußte Musiknotation je-mals umfassend in ein Regelwerk zwingen zu können, grenzen die Programmierer den Formalisierungs- und Automatisierungsgrad von vornherein ein und beschnei-den damit das Resultat um bestimmte Fähigkeiten. Mit steigendem Verkaufspreis – nahezu alle ernst zu nehmenden Notensatzprogramme werden kommerziell vertrie-ben – steigt meist auch die Komplexität der verwendeten Algorithmen, denn bei Preisen jenseits der Tausendmarkgrenze erwarten wohl die meisten Käufer zu Recht ein hohes Maß an vollautomatisch ausgeführten Formatierungen. So ist beispiels-weise nicht einzusehen, warum der Benutzer dafür sorgen muß, zu lange Notenzeilen manuell hinter bestimmten Takten in mehrere Systeme umzubrechen; diese Berech-nungen kann der Computer viel schneller erledigen, doch bedürfen diese ausgefeilter und aufwendiger Verfahren. 1.3.2 Notensatzalgorithmen in der Literatur Obwohl seit vielen Jahren die unterschiedlichsten Notensatzprogramme entwickelt und teilweise sogar kostenlos angeboten werden, bleibt die systematische Ausein-andersetzung mit notengraphischen und diesbezüglichen musiktheoretischen und musikpsychologischen Zusammenhängen in der Literatur sehr überschaubar. Dies mag zum einen damit zusammenhängen, daß die meisten Anbieter kommerzieller Notensatzsysteme ihre Erkenntnisse aus Konkurrenzangst zu wohlgehüteten Ge-heimnissen erklären. Damit folgen sie in gewisser Hinsicht der Tradition der No-tenstechereien, die ihr theoretisches und handwerkliches Wissen ebenfalls gut zu hüten wußten. Zum anderen basieren viele kostenlose Programme statt auf zuvor erarbeiteten Grundlagen, auf rein intuitiv und »per Augenmaß« zusammengesetz-ten Algorithmen, welche in schriftlicher Form ohnehin nur bedingt zum Erkennt-nisgewinn beitragen dürften. Neben vereinzelten Aufsätzen zur prinzipiellen Struktur diverser Notensatzsy-steme, 38 stechen besonders einige Veröffentlichungen hervor, die sich konkret mit der Algorithmisierung spezieller notensetzerischer Probleme befassen und nicht nur auf diese hinweisen. Dazu gehört unter anderem die 1984 eingereichte Dissertati-on von Donald Byrd,39 in der er sein automatisches Notensatzsystem SMUT be-schreibt. Zwar liegt das Gewicht dabei zum großen Teil weniger auf der Darstellung seiner Algorithmen, als vielmehr auf der generellen Arbeitsweise, doch enthält sie einen Abschnitt, in dem Byrd ein Verfahren zur optischen Aufbereitung von Syn-kopen beschreibt. Obwohl er dies nur unvollständig darstellt – es berücksichtigt beispielsweise keine Pausen –, wird ein wichtiger notengraphischer Aspekt algo-rithmisiert, dem bis dahin scheinbar keine nennenswerte Bedeutung zugeschrieben 38 Vgl. z.B. Smith (1973), Taube (1993) und Rader (1996). 39 Byrd (1985).