2.2 Die Codierung der Noten 55 Zugegebenermaßen kann hierbei wohl nicht mehr von einer intuitiven Codierung gesprochen werden. Im Gegenteil erinnert ein solcher Zahlencode eher an eine kryp-tische Geheimsprache. Zwar bleibt die Transformierbarkeit des Codes in vollem Umfang erhalten, die Eingabe ist jedoch äußerst anwenderunfreundlich, zumal ein potentieller Code-Autor neben der Umsetzung einer »normalen« Partitur in Braille- Schrift einen zweiten Codierschritt vollziehen muß. Darüber hinaus ist das Prin-zip der ambivalenten Notenwertcodierung nicht völlig unproblematisch. Es bedarf schon einigen Aufwandes, um den korrekten Wert aus dem Notenkontext heraus algorithmisch zu ermitteln. Tatsächlich stellt sich an dieser Stelle die Frage, inwie-weit die anfangs geforderte Isomorphie zwischen diesem Code und dem zugehörigen zweidimensionalen Notenbild gegeben ist. Auch wenn die Ausführungen zum »Oktalcode« zunächst rein theoretischer Na-tur sind, zeigen sie die Vielschichtigkeit der Überlegungen, die bei der Konstruktion einer alphanumerischen Notenrepräsentation angestellt werden können. So kompli-ziert oder gar sinnlos einige Codes auf den ersten Blick auch scheinen mögen, ihre Mächtigkeit stellen sie erst beim Einsatz in ihrem zugedachten Spezialbereich unter Beweis. Warum sollte also beispielsweise kein Gehörbildungs- oder Musik-lehrprogramm für sehbehinderte Menschen entwickelt werden, in dem eine Noten-darstellung ebenso sinnvoll und quasi unumgänglich ist, wie in einer vergleichbaren bildschirmorientierten Anwendung? 2.2.3 Methoden der Notenbeschreibung Den weitaus größten Teil nehmen sowohl im Notenbild als auch im entsprechenden Code die Noten ein. Deshalb ist es besonders wichtig, diese möglichst intuitiv und mit wenig Aufwand beschreiben zu können. Im vorangegangenen Abschnitt wurde die Ausnutzung redundanter Parameter als eine Technik beschrieben, die genau dies zu leisten vermag. Ein Code, der diese Methode nutzt, ist der in den sechzi-ger Jahren von Barry S. Brook und Murray J. Gould erdachte Plaine and Easy Code. Er wurde zum Katalogisieren und schnellen Wiederauffinden musikalischer Themen entwickelt und findet heute unter anderem in der Musikdatenbank des Répertoire Internationale des Sources Musicales (RISM) eine praktische Anwen-dung. 22 Gleichzeitig wurde er aber ausschließlich für einfache einstimmige Linien konzipiert und eignet sich in seiner Urform deshalb nicht für komplexere Noten-bilder. Seine kryptische Erweiterung ALMA, die Alphameric Language for Music Analysis23, konnte sich allerdings nicht richtig durchsetzten, so daß dieser Code für den computergestützten Notensatz heute nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die grundlegende Idee des Plaine and Easy Code ist jedoch überzeugend, so daß neben der Urform des Codes auch individuelle, auf bestimmte Projekte zugeschnittene, Erweiterungen im Einsatz sind. Dazu gehört beispielsweise das an der Universität Osnabrück unter der Leitung von Bernd Enders entwickelte Autorensystem CAMI-Talk, auf dem die Gehörbildungsprogramme des Computerkollegs Musik basieren.24 22 Vgl. Howard (1997), S. 362. 23 Aufbau und Anwendungen des Codes werden unter anderem in Gould und Logemann (1970) beschrieben. 24 Vgl. Enders (1991) und Enders (1995).