4.1 Die relative Gewichtung musikalischer Einsatzzeiten 95 Tonh¨ohe musikalische Einsatzzeit Abbildung 4.2: Beim Musikhören trennt der Wahrnehmungsapparat zwischen musika-lischer und physikalischer Zeit. Trotz ritardando wird eine Folge gleicher Notenwerte als solche erkannt, d.h. die physikalische Zeit verläuft krummlinig zwischen den äquidistanten musikalischen Einsatzzeiten. keit von der physikalischen Zeitspanne, die einem bestimmten Notenwert zugeteilt wird, kristallisiert sich ein jeweils anderes metrisches Raster heraus. Untersuchun-gen haben ergeben, daß vorzugsweise Pulsweiten zwischen 75 und 120 Schlägen pro Minute als Taktschlag erkannt werden.5 Wird also ein Musikstück in modera-tem Tempo gespielt, deckt sich beispielsweise ein Viertelnotenraster mit dem Puls, bei schnellem Spiel dagegen kann auf ein gröberes Raster, etwa bestehend aus Halben Noten, gewechselt werden. Dies wird aber von Hörer zu Hörer etwas unter-schiedlich wahrgenommen. Parallel zum empfundenen, existieren im Hintergrund also noch schnellere und langsamere regelmäßige Pulsschläge, die sich gegenseitig überlagern. Diese sogenannten metrischen Level 6 sind nun nicht willkürlich pro-portioniert, sondern stehen in unmittelbarem Verhältnis zueinander und zwar so, daß ein langsamerer Puls immer mit einem schnelleren zusammenfällt (Abb. 4.3).7 Der letztlich vom Hörer der Musik empfundene metrische Level wird von Lerdahl und Jackendoff als Tactus bezeichnet. Durch diese Überlagerungen entsteht eine Gewichtungshierarchie der verschie-denen Pulsschläge: Je mehr parallele Pulsfolgen in einem Rasterpunkt konvergieren, desto größer ist sein metrisches Gewicht, welches vom Hörer als starke oder schwa-che Betonung der zugehörigen Zählzeit wahrgenommen wird. Diese Betonungen entstehen allein durch das Metrum, sie sind also nicht mit melodischen, harmoni-schen oder anderweitig auf die Struktur der Komposition zurückgehenden Akzenten zu verwechseln. Diese strukturellen Akzente grenzen sich ebenso wie die phänome- 4 Bradter (1998), S. 27. 5 Man glaubt, daß diese Zahlen auf Regelmäßigkeiten bestimmter menschlicher Körperfunktio-nen, wie Herzschläge oder der Schrittgeschwindigkeit beim Gehen, zurückzuführen sind, die sich im gleichen Frequenzbereich bewegen. (vgl. Parncutt (1987), S. 130 und Eskelin (1998), S. 154.) 6 Vgl. Lerdahl und Jackendoff (1983), S. 68. 7 Dies entspricht der ersten »Metrical Well-Formedness Rule« der Generativen Theorie tonaler Musik (Lerdahl und Jackendoff (1983), S. 69).