5.3 Die Bestimmung der Notenabstände 155 5.3 Die Bestimmung der Notenabstände 5.3.1 Die Grundabstände »Noten unterliegen in ihren Abständen einem Abstandsverhältnis, das die Bezie-hung ihrer rhythmischen Zeitwerte verdeutlicht: so hat etwa die Halbe Note mehr Hinterfleisch als die Viertel-Note.«47 Diese jedem Musiker vertraute Notationsregel ist keineswegs selbstverständlich, denn theoretisch gesehen ist sie überflüssig, da die musikalische Dauer einer Note durch Kopfform, Fähnchen und Wertpunkte bereits eindeutig festgelegt ist. Die Redundanz der Abstandsdifferenzierung wird von Carl Dahlhaus als Überbestimmung eines Sachverhalts bezeichnet,48 welcher zwar dem Ökonomieprinzip49 widerspricht, einen musikalischen Teilaspekt aber so verdeut-licht, daß dem Musiker die Verdopplung nicht unmittelbar als solche bewußt wird. Tatsächlich findet man die schreibtechnische Verdopplung eines musikalischen Pa-rameters ausschließlich bei der Tondauernotation, welcher damit eine besondere Bedeutung zukommt. Das ist sicher auch sofort nachzuvollziehen, wenn man be-rücksichtigt, daß die rhythmische Komponente der Musik, die dem zeitlich deter-minierten Pulsschlag des Metrums unterworfen ist, einen kritischen Moment beim Musizieren – insbesondere beim Blattspiel – in sich birgt. Je deutlicher ein Musi-ker die Tondauerverhältnisse erkennt, desto schneller kann sein Gehirn die visuelle Information decodieren und um so leichter bleibt er mit seiner Lesegeschwindigkeit im Metrum, ohne letzterem mit den Augen »hinterherlaufen« zu müssen. Wer sich nun fragt, wie diese Notenabstände zu wählen sind, könnte zunächst vermuten, daß sie sich proportional zu den Notenwerten verhalten, also eine Vier-telnote beispielsweise doppelt soviel Hinterfleisch bekommt wie eine Achtelnote. Diese Forderung wäre allerdings etwas übertrieben, da auf diese Weise, besonders nach größeren Notenwerten, viel zu große Abstände produziert würden: w ˙ oe oe oe oe Einerseits wäre dies eine offensichtlich unnötige Platzverschwendung und anderer-seits erschwerten die teilweise weit voneinander entfernten Noten ein zügiges Lesen. »Eine Verdopplung der Rhythmusnotation, die uns als Tautologie bewußt würde, wäre verwirrend; eine geringe, unauffällige und dennoch wirksame Überbestim-mung ist eine Verdeutlichung.«50 Doch welche Abstandsrelationen führen zu einer solchen »unauffälligen Überbestimmung«? Darüber gehen sowohl die Meinungen diverser Autoren als auch die Stichpraxen verschiedener Notenverlage auseinan-der. So schlägt Carl Dahlhaus an gleicher Stelle vor, die Freiräume hinter Achtel-, Viertel-, Halbe- und Ganzenoten im Verhältnis 1 : 2 : 3 : 4 zu wählen. Laut Helene Wanske produzieren diese Werte jedoch immer noch zu extreme Abstände und sie offeriert statt dessen die Variante 1 : 1,4 : 1,8 : 2,2,51 welche wiederum von der 47 Wanske (1988), S. 108. 48 Dahlhaus (1965), S. 21. 49 Dahlhaus bezeichnet damit das Bestreben, durch ein Minimum an Zeichen ein Maximum an Deutlichkeit zu erreichen (ebd.). 50 Ebd. 51 Vgl. Wanske (1988), S. 111.