Präludium 5 te in so vielen Sprachen erhalten, dass wir mehrere Leben bräuchten, um uns eine reflektierte Übersicht zu verschaffen.Mit Dieter Hildebrand zu reden kann man in dieser Situation als Optimistler überleben: man hofft einfach, unsere intuitive Auffassung von Musik treffe etwas Wesentliches und das davor sei irgendein Vorstadium dieses Wesentlichen. Dage-gen steht eine Lebensweisheit, die ich von Woody Allen gelernt habe. Der spricht einmal von einem Viech, das » the great roe « heiß. Es hat den Kopf eines Löwen und den Körper eines Löwen, aber es ist nicht der gleiche Löwe.4 Auf die Musikge-schichte umgemünzt: wenn wir die Musik anführen, tun wir so, als sei sie Teil des immer gleichen Löwen. Stimmt das?Besehen wir uns die Sachlage und benutzen wir dafür als Ersatz für das frag-liche Nomen Musik das unprätentiöse Wort Klangorganisationen. Damit soll einfach als momentaner Ersatz für den Begriff Musik jenseits jeglicher begrifflicher Differen-zierung ausgedrückt sein, dass Menschen, aus welchen Gründen auch immer, mit Klängen Organisationen bilden. Wenn wir nun in der Begriffsgeschichte prüfen,wie man den Begriff Musik verwendet hat, fällt sofort auf, dass der Begriff während etwa 2000 Jahren, nämlich ungefähr von Aristoteles bis Leibniz, keine Sache meint, sondern eine Art und Weise, über Klangorganisationen nachzudenken. Musik als Ausdruck meint eine bestimmte Reflexionsform.Diese Reflexionsform wird definiert als die Arbeit, über die Beziehung zwischen den Begriffen Ton und Zahl nachzudenken. Die Art des Nachdenkens ist durch die Auseinandersetzung mit den aristotelischen Schriften bestimmt. Daraus ergibt sich zunächst einmal eine Einordnung. Ton, so erfahren wir, ist ein physikalischer, Zahl dagegen ein mathematischer Begriff. Physik und Mathematik haben wenig mit dem zu tun, was wir uns heute darunter vorstellen. Physik im aristotelischen Schrifttum meint die Gesamtheit der uns sinneshaft zugänglichen Welt. Wasserpfützen, Nach-tigallen, Besenstiele und Töne, damit Miriaden anderer Dinge sind physikalische Objekte, weil sie zu unserer Sinneswelt gehören. Als solche haben sie gemeinsam, dass sie irgendwann entstanden sind und irgendwann vergehen, wobei der Prozess zwischen Anfang und Ende besondere Beachtung verdient. Denn es fragt sich, was das ist, ein Prozess, eine Veränderung. Damit ist natürlich auch die Frage verknüpft, was Zeit sei. Aristoteles sagt, Zeit sei das Maß der Bewegung, also der Veränderbar-keit.Der Sinneswelt entgegen steht der Bereich der Mathematik. In ihm wird disku-tiert, was als der Veränderung nicht unterworfen gilt. So etwas ergibt sich beispiels-weise, wenn wir an einen Holztisch denken, dessen Masse zwei auf einen Meter be-tragen sollen. Der Tisch ist ein physikalisches Objekt. Irgendwann wird er als Tisch vergangen sein. Was Denker seit jeher interessierte war die Frage, was dann mit den 4 Ich entnehme die Geschichte einem Buch von Robert Wilensky: Common LISPcraft, New York/Lon -don 1986, S. 294: » A word of warning, though. Woody Allen, in a treatise on mythical beasts, de-scribes a creature called the Great Roe. The Great Roe has the head of a lion, and the body of a lion, … but not the same lion.«