8 Max Haas dass er prototypisch Text und Melodie hat – » setze mich mich auf ein Kamel. Wäh-rend das Kamel einherschreitet, klopfe ich mit einem Stöckchen auf dem Sattel und koordiniere so den Rhythmus des Tieres mit dem Rhythmus meines Liedes.« Soweit die Geschichte.Es ist eine Eigenheit der arabisch-islamischen Tradition, dass für die Zwecke der Traditionspflege bereits recht früh, im 8./9. Jahrhundert, versucht wurde, alle Ge-schichten über Lieder zu sammeln und aufzuschreiben. In solchen Geschichten wurde erzählt, wie Tradition bewahrt wird, was passiert, wenn sich Fehler einschlei-chen, wie Sänger sich benehmen, was sie auszeichnet bei Singen etc. Wer die Ge-schichte von Ma'bad hört, wird selber kaum ein Lied zu Stande bringen. Aber die Geschichte macht es möglich, einen überaus komplexen Prozess nachvollziehbar zu machen, weil die Koordination der beiden Rhythmen anschaulich wird.Es ist, historisch gesehen, außerordentlich interessant, dass das Judentum wie der arabische Islam solche literarische Formen, zu denen die Ma'bad-Geschichte ge-hört, hervorgebracht haben, während das Christentum eine entsprechende literari-sche Gattung nicht kennt. Die Gründe dürften weniger kompliziert als komplex sein und mit der spezifisch christlichen Haltung gegenüber tradierenden Verfahren ver-knüpft sein. Wie dem auch sei: während man in Judentum und Islam bis heute von einem breiten Schatz an Erzählungen zehren kann – gebildete Araber erzählen ei -nem heute noch gerne Ma'bad-Geschichten –, müssen wir unsere Geschichten erfin-den. Ich habe von Hartmuth Kinzler gelernt, dass das mit einer Verbreiterung der Ansätze möglich ist. Etwa dann, wenn nicht einfach Klavierliteratur analysiert wird, sondern die Handlungen, die einer am Klavier vollzieht. Dann kann beim Nachden-ken über das Üben die Idee entstehen, das erste Präludium des » Wohltemperierten Klaviers « mit der Etüde op. 10/1 von Chopin zusammen zu bringen. Dann entsteht aber auch die Idee, mit Studierenden zusammen Kammermusik zu machen. Und dann entsteht eben auch die Idee, in einer Analyse verschiedene Ansätze zu bilden.Ich komme zum Schluss meines kurzen Referates und möchte noch einen ganz anderen Punkt vorbringen. Bei der Ausarbeitung meines Textes hatte ich den Ein-druck, es wäre nützlich, die von Hartmuth Kinzler als wichtigere Beiträge verstan-denen Arbeiten in einem Sammelband, mit einem guten Index versehen, vorzule-gen, so dass eine Art Vademecum der musikalischen Analyse entsteht. Vielleicht wird sich jemand der Aufgabe widmen. Wie dem aber auch immer sei, fehlt dann in diesem Band ein Aufsatz. Da Hartmuth Kinzler, wie ich annehme, weiter arbeiten, und das heißt auch: weiter publizieren wird, würde ich gerne das ungeborene Kind-lein vorsorglich taufen. Kurzum: ich würde gerne ein Desiderat anmelden.Wie ich mit Vergnügen gesehen habe, wird im Unterricht bei Ihnen in der Mu-sikwissenschaft bereits das iPad verwendet, ein kleiner Computer, der sich gut pro-grammieren lässt. Damit kann in sehr einfacher Weise Material zur Verfügung ge-stellt werden, das absuchbar organisiert ist. Die Suche lässt sich so einfach gestalten, dass die Zeit für die Einarbeitung stark reduziert wird. Was für Material drängt sich in unserem Falle auf? Wenn es in jeder Lesart so ist, dass wir für das Gesamt, das wir als Musik etikettieren, kein Referenzcorpus haben, sollten verschiedenartige