» Ich höre was, was du nicht siehst …« Anmerkungen zur akusmatischen Analyse Christoph von Blumröder Nicht nur in kompositorischer Hinsicht stellte Pierre Schaeffers Erfindung der Mu-sique concrète einen musikhistorischen Paradigmenwechsel dar, indem – wie es der gleichnamige, von ihm im Zusammenhang mit der Rundfunkausstrahlung seiner » Cinq études de bruits « 1948 lancierte Begriff besagen sollte – im Unterschied zum bis dahin üblichen Schaffensprozess, der in der schriftlichen Ausarbeitung und Fi-xierung gewisser geistiger musikalischer Vorstellungen in einem Notentext als Vor-lage einer akustischen Interpretation bestand, der Vorgang der Hervorbringung ei-nes Musikwerkes nun eine Umprägung im Sinne der direkten empirischen Gestal-tung bestimmter ausgewählter oder eigens generierter Schallmaterialien zu einem realen Klangphänomen erfuhr. Sondern auch im Blick auf die musikwissenschaft-liche Apperzeption wurde geradewegs ein Bruch mit deren bisherigen Praktiken ei-ner nachvollziehenden Auseinandersetzung mit musikalischen Artefakten provo-ziert, insofern eine stillschweigende, meist unbefragte Voraussetzung der herkömm-lichen Analyse darauf basiert, dass sie an einer Partitur als dem wesentlichen Be-zugspunkt zergliedernder verbaler Umschreibungen sich orientiert, während das Spezifikum der Musique concrète – und eines Großteils der seitdem entstandenen elektroakustischen Musik gleichermaßen – gerade darauf hinausläuft, ihre Werke unmittelbar ohne die Zwischeninstanz der tradierten Notation in einem neuartigen technischen Medium aufzuzeichnen (ganz am Anfang auf Schallplatte, dann lange Zeit auf Tonband und mittlerweile auf digitalen Datenträgern), um sie daran an-schließend mittels einer Lautsprecherwiedergabe rein klanglich zu präsentieren; die besondere methodische Herausforderung, die daraus resultiert, wurde von der aka-demischen Musikwissenschaft zunächst verdrängt, weil deren reaktionäre Gralshü-ter nach dem Zweiten Weltkrieg bevorzugt darüber zu richten sich anmaßten, ob es überhaupt um Musik noch sich handele (in Elaboraten, die bei retrospektiver Lektü-re nur mehr lächerlich, wenn nicht gar peinlich wirken).Indessen liegt es vor dem eingangs skizzierten Horizont nahe, über das Verfah-ren der musikalischen Analyse sowie über den Begriff des Werkes beziehungsweise der Musik grundsätzlich etwas intensiver nachzudenken. Denn die in den 1950er Jahren rasch international allgemein verbreitete elektroakustische Kompositionspra-xis hat für die Musikwissenschaft die höchst bemerkenswerte Konsequenz gezeitigt, dass die Erforschung ihres heute beträchtlichen Repertoires primär auf den indivi-