12 Christoph von Blumröder duellen Gehörssinn verwiesen worden ist. Man kann in Einklang mit der von François Bayle in Schaeffers Nachfolge seit Beginn der 1970er Jahre etablierten Theorie der akusmatischen Musik 1 die notwendigerweise veränderte musikwissen-schaftliche Herangehensart unter den Begriff der akusmatischen Analyse fassen. Wenn nämlich in Anknüpfung an die Pythagoras-Überlieferung das Attribut akus-matisch den Umstand akzentuieren soll, dass die hörende Wahrnehmung gleichsam durch den Vorhang der die Schallquelle verbergenden Lautsprecher zum zentralen Kriterium sowohl für die kompositorische Produktion als auch für die Konzertsitua-tion avanciert ist,2 dann gilt dies ebenso für deren analytische Erörterung seitens der Musikwissenschaft, die ohne skripturale Anhaltspunkte – auf die sie sich bis dahin zu stützen gewohnt war – mit dem puren Klang als der substantiellen musikali-schen Kategorie des jeweiligen Werkes konfrontiert ist. Dem Prinzip nach einge-schlossen sind dabei auch die wenigen Beispiele vornehmlich der Elektronischen Musik Kölner Provenienz, die namentlich von Karlheinz Stockhausen auf der Basis abstrakter serieller Prädeterminationen verfertigt wurden, insofern deren unter-schiedlich ausgestaltete graphische Repräsentationen, die begleitend unter einer beibehaltenen Verwendung der überkommenen Bezeichnung Partitur veröffentlicht wurden – die » Studie II « ,3 die » Kontakte « 4 und die » Telemusik « 5 wären exempla-risch hervorzuheben –, nur einen blassen Schimmer der tatsächlich erklingenden Musik vermitteln; vielmehr besteht die primäre Funktion der erwähnten Partituren in der Möglichkeit, einzelne Momente der seriellen Organisation und die elektroni-sche Herstellungstechnik der in Rede stehenden Kompositionen nachzuvollziehen, und erst sekundär können sie – zumindest bei der » Studie II « und der » Telemusik « – darüber hinaus einem versierten Leser beim Anhören eine gewisse Orientierung im unbekannten Klangterrain gewähren (während Stockhausens Vorstellung, auf ihrer Grundlage auch das Werk jederzeit vollständig rekonstruieren zu können – » Sie gibt dem Tontechniker alle für eine klangliche Realisation nötigen Daten « , heißt es in der Einführung zur Partitur der » Studie II « 6 –, als illusorisch sich erwies, da er die zahlreichen Imponderabilien der analogen Studioarbeit unterschätzte).1 Siehe als fundamentale Publikationen François Bayle: Musique acousmatique. Propositions… …posi-tions, Paris 1993 und ders.: L‘image de son. Technique de mon écoute / Klangbilder. Technik meines Hörens, zweisprachige Edition Französisch und Deutsch mit Klangbeispielen auf einer Compact Disc, hrsg. von Imke Misch und Christoph von Blumröder (= Komposition und Musikwissenschaft im Dialog 4 [2000–2003]; Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Bd. 8), zweite, korrigierte und erweiterte Auflage Münster 2006.2 Vgl. dazu vom Verfasser die entsprechenden Passagen des Aufsatzes: Musique concrète – Elektroni-sche Musik – Akusmatik. Konzeptionen der elektroakustischen Musik, in: Topographien der Kompo-sitionsgeschichte seit 1950. Pousseur, Berio, Evangelisti, Kagel, Xenakis, Cage, Rihm, Smalley, Brüm-mer, Tutschku, hrsg. von Tobias Hünermann und Christoph von Blumröder (= Signale aus Köln. Bei-träge zur Musik der Zeit, Bd. 16), Wien 2010, S. 200–204.3 Karlheinz Stockhausen: Nr. 3 Elektronische Studien. Studie II, Partitur London 1956.4 Karlheinz Stockhausen: Nr. 12 Kontakte. Elektronische Musik, Realisationspartitur London 1968.5 Karlheinz Stockhausen: Nr. 20 Telemusik, Partitur Wien 1969.6 Stockhausen: Elektronische Studien, S. III (s. Anm. 3).