14 Christoph von Blumröder nungen, sämtlichen Kontraktionen, sämtlichen Fragmentierungen, sämtlichen Be-schleunigungen oder Verlangsamungen, sämtlichen Vergrößerungen oder Verklei-nerungen: aber der Vorhang des Wahrnehmungsbewußtseins muß durchquert wer-den! Genau das ist der Kontrakt der akusmatischen Modalität. Und unter ›Modalität‹ ist hier dieser Umkehreffekt des ›Machens‹ zu verstehen, der das ›Sein‹ modifiziert. Ein ›anderes Sein‹ entsteht aus einem ›anderen Handeln‹, aufgrund des medial ge-stützten Hörens. Es ist eine Welt, die in der Kindheit steckt, weil wir noch dabei sind zu lernen, wie das Hören funktioniert. Die Akusmatik präsentiert sich also als das Hören des Hörens.« 12 Man kann die zuletzt zitierten Feststellungen relativ uneingeschränkt auf den derzeitigen Status der akusmatischen Analyse übertragen, die infolge der innovati-ven kompositorischen Fokussierung auf den akausalen Klang methodisch weder auf tradierte, vorrangig von diastematisch konzipierten Musikwerken abstrahierte basale Beschreibungskriterien – etwa aus den Gebieten der Melodik, Rhythmik, Me-trik, Harmonik oder Formenlehre – noch auf einen vergleichbar reichen Schatz frü-herer musikwissenschaftlicher Untersuchungen zu rekurrieren vermag; hinsichtlich partiell weiterhin gültiger älterer Bestimmungsmerkmale dürften am ehesten allge-meinere Gestaltungsprinzipien wie Repetition, Variation und Entwicklung als ge-wissermaßen Archetypen musikalischer Zusammenhangsbildung noch eine Rolle spielen. Davon abgesehen müssen die Prämissen der akusmatischen Analyse von Grund auf theoretisch neu gestiftet und bewertet werden (wofür beispielsweise das spektromorphologische Modell, das Denis Smalley ersann,13 einen höchst originel-len, aber sicherlich nicht einzig möglichen Ansatz offeriert); Gesichtspunkte wie die besonderen kompositorischen Verhältnisse zwischen akustisch Bekanntem und Un-bekanntem, Konkretem und Abstraktem, vertrautem Naturobjekt und fremdarti-gem Kunstelement, zwischen semantischer Ambivalenz und Eindeutigkeit, zeit-lichem Fluss und scheinbarer Ruhe, räumlicher Nähe und Entfernung oder Bewe-gung und Statik werden für das analytische Interesse dominierend, um nicht zuletzt in die Frage zu münden, wie das vielschichtige Oszillieren zwischen Schärfe und Unschärfe der Wahrnehmung auf die hörende Orientierung im musikalischen Klangverlauf sich auswirkt.Dieses Desiderat zu erfüllen, ist freilich zuallererst in die Verantwortung des je subjektiven Ohres gestellt, weswegen die Maxime ›das Hören des Hörens‹ im Sinne eines dadurch dezidiert eingeforderten selbstreflexiven Aktes auch für die Etablie-rung der akusmatischen Analyse Gültigkeit beanspruchen darf. Dabei sind die Kon-sequenzen einer solchen Aufwertung des Gehörs zur zentralen analytischen Instanz 12 Ebd., S. 17.13 Siehe Denis Smalley: Spectromorphology: explaining Sound-Shapes, in: Organised Sound 2, 1997, 2, S. 107–126; ders.: Materials, Ideas, Style in My Music, in: Komposition und Musikwissenschaft im Dialog 5 (2001–2004). Mit Beiträgen von Ludger Brümmer, Jean-Claude Eloy, Wilfried Jentzsch, Henri Pousseur, Wolfgang Rihm, Denis Smalley, Daniel Teruggi und Hans Tutschku, hrsg. von Imke Misch und Christoph von Blumröder (= Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Bd. 11), Berlin 2006, S. 177–201; Jakob Berger: Denis Smalleys Theorie der Spectromorphology, in: Topographien der Kom-positionsgeschichte seit 1950, S. 207–234 (s. Anm. 2).