» Die Vorstellung … ist der Anknüpfungspunkt für die musikalische Bildung « 19 sik aus der Vokalmusik, wobei für sie Vokalmusik mehr Tonsprache als Tonphantasie ist. Im Hinblick auf die Frage, welche Musik etwa sieben- bis zehnjährigen Kindern geboten werden solle, zeigt sich Ramann ambivalent: Einerseits sei es, im Gegensatz zu den » Verstandescombinationen « in der Kunst der alten Niederländer, das Volks-lied, welches am leichtesten Stimmungen ausdrücken könne. Andererseits enthalte auch die Instrumentalmusik einen Musiksinn, denn sie bestehe aus Form und dar-stellungsbedürftigem Inhalt. Musik sei Ausdruck des Gefühls und dieses sei Inhalt der Musik. Hinsichtlich des Inhalts äußert sie als Anhängerin der (» fortschritt-lichen « ) Neudeutschen Schule um Franz Liszt, den Ramann bewunderte und dem sie zur Biographin wurde,8 Kritik an der » unendlichen Verinnerlichung « der Musik (besonders bei Beethoven). Gerade weil der Inhalt der Musik im 18. Jahrhundert an Bedeutung gewonnen habe, plädiert sie für die » Entfesselung der Innerlichkeit « , wie sie sie in der Musik und in Texten Liszts über die Musik verwirklicht sieht. An-dernfalls entzöge sich die Musik dem Verständnis des Volkes und die Musik würde zum Selbstzweck. Die Offenlegung des Inhalts sei der Zweck von Musikpädagogik, besonders in Musikschulen und im Musikunterricht der Volksschulen, in dem die Schüler an die Instrumentalmusik herangeführt werden. Während sich bei Ramann die Form der Musik auf das Denken bezieht, beruht der Inhalt auf Fühlen. In der Analyse Noltes schließlich akzentuiert Ramann zunehmend den Blick auf die Form, aus welcher der Inhalt erschlossen wird – die Form bekomme für Ramann einen ebenbürtigen Rang. Damit näherte sie sich, so Nolte, immer stärker den Vorstellun-gen Eduard Hanslicks und trug der Erschließung des Kunstwerks durch Denken Rechnung; die Betrachtung der Form avancierte bei Ramann immer mehr zum Bil-dungsmittel. Dieser Anspruch auf eine eher rationale Werkinterpretation fand letzt-lich seine Fortsetzung in der Wissenschaftsorientierung Ende der 1960er Jahre um Michael Alt.9 Blickwinkel auf die Physiologie und Psychologie…Während Noltes Analyse in Bezug auf Ramanns Prämissen, aus der sie musikpäd-agogische Positionen ableitet, vorwiegend ihr Verständnis von der Musik selbst in den Blick nimmt und dann schließlich die (zunehmende) rationale Kunstwerkinter-pretation als Mittel zur Bildung herausarbeitet, finden sich bei Ramann weitere Ausgangspunkte, die noch zu ganz anderen musikpädagogischen Konsequenzen und konkreteren praktischen Überlegungen führen. Kennzeichnend ist hierbei, dass Ramann bei dem im Folgenden Dargestellten weder vom Wesen der Musik noch von kunstwerktheoretischen Begründungen ausgeht, sondern von physiologischen und psychologischen Einsichten. Diese münden in Forderungen, der Musikunter-richt habe, so James Deaville über Ramann » von der Anschauung zur Vorstellung 8 Siehe dazu Eva Rieger: So schlecht wie ihr Ruf? Die Liszt-Biographin Lina Ramann, in: NZfM 7/8 (1986), S. 16–20, hier S. 16ff.9 Nolte: Die Musik im Verständnis der Musikpädagogik des 19. Jahrhunderts, S. 160ff. und S. 166ff.(s. Anm. 7).