20 Alexander J. Cvetko nach anthropologisch-psychologischen Prinzipien Hand in Hand mit den Erkennt-nissen der allgemeinen Erziehungslehre zu erfolgen.« 10 Lina Ramann rekurriert im Hinblick auf Vorstellung und Anschauung auf Karl Friedrich Burdachs in mehreren Bänden erschienene Werk » Die Physiologie als Er-fahrungswissenschaft « ,11 das zugleich auch psychologische Aspekte enthält. Neben zahlreichen physiologischen und psychologischen Überlegungen sind es insbeson-dere die Einteilung von Entwicklungsstufen sowie die Erkenntnisfähigkeiten in den jeweiligen Stufen, für die Ramann sehr empfänglich war. So werde etwa ab dem fünften Lebensjahr » die Phantasie thätig: die Freude am Märchen erwacht, die Aus-dauer wächst, die Eindrücke werden bleibender.« 12 Sie kommt in Verbindung mit Burdachs Beschreibungen zu folgenden Ergebnissen:1.Zwischen Verarbeitungsfähigkeit und Alter gibt es eine Korrelation, was Kon-sequenzen für die Auswahl des Lehrstoffes nach sich zieht.2.Das Jugendalter gliedert sich in drei Abschnitte: Der erste Abschnitt geht bis zum siebten oder achten Lebensjahr, der zweite bis zum 14. (bei Mädchen) bzw. 16. (bei Jungen), der dritte schließlich reicht vom 14. bis 20. (bei Frauen) bzw. vom 16. bis 23. Lebensjahr (bei Männern).3.Im zweiten Lebensabschnitt liegt der Erziehungsschwerpunkt. In diesem letzt-genannten Lebensabschnitt, den Ramann besonders fokussiert, entwickeln sich zudem Sinnestätigkeit, Lernvermögen, Wissbegierde, Verstand und Ge-fühlsvermögen.4. Auf einen Aspekt geht Ramann besonders ein, nämlich auf das Vorstellungs-vermögen:Die Vorstel lungsthät igkei ten werden in dieser Periode Mittelpunkt der geistigen Bewegung. […] Die Welt der Vor stel lungen ist während dieser Entwicklungsperiode die eigentliche Welt des kindlichen Geistes. Er nimmt die Welt, das natürliche Leben, die Erscheinung, als Vorstellung in sich auf; es beschäftigt ihn weniger das Wesen als die Beschaffenheit der Dinge, deren Ver-hältnisse unter einander er sich deutlich zu machen sucht. Hier liegt demnach die Ursache, warum die Vorstellung durch die Anschauung hindurch gehen muss. Sie ist das einzige natürlich entwickelnde Element, das zugleich dem ju-gendlichen Denken feste Basis giebt. […] In Folge dessen wird der Geist der zweiten Kindheitsstufe durch die in Vor stel lungen umgewandel te An-schauung lebendig, geschmeidig, gefestet und geordnet. Sie ist es, welche 10 James Deaville: Ramann, Lina, in: MGG2, Personenteil 13, Kassel u. a. 2005, Sp. 1224–1225, hier Sp. 1224.11 Karl Friedrich Burdach: Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft 1–6, Leipzig 1826–1840.12 Burdach zitiert nach Lina Ramann: Allgemeine musikalische Erzieh- und Unterrichtslehre. Der Kla-vierunterricht. Ein theoretisch-praktisches Lehrbuch für Musik-Lehranstalten zur Heranbildung von Musiklehrern und -lehrerinnen, sowie zum Selbstunterricht, Leipzig 21898, § 42, S. 99.