26 Alexander J. Cvetko henshilfe.28 Zwar werden auch hier » musikalische Bilder « erzeugt, doch werden auch sie, ähnlich wie geschichtliche Darstellungen, durch das festgelegte Programm stark gelenkt.Was ist nun die Besonderheit? Alles in allem erweist sich Lina Ramann in Über-einstimmung mit den Ansichten der Anhänger der Neudeutschen Schule sowie mit der Anschauungspädagogik im 19. Jahrhundert. Auch sie zieht Konsequenzen aus der Auseinandersetzung mit der Instrumentalmusik Beethovens, indem sie der In-haltsästhetik – auch bei einer teilweisen Annäherung an formalästhetische Betrach-tungsweisen – Rechnung trägt. Anders jedoch als bei Franz Liszt, den sie sehr inten-siv rezipiert hat, ist die Art und Weise ihres Programms weniger thematisch festge-legt; vielmehr genügen ihr Fingerzeige und Andeutungen im Hinblick auf den In-halt. Was sie gleichermaßen von Autoren wie Robert Reinick und Franz Pocci unter-scheidet, ist die Tatsache, dass sie Kindern und Jugendlichen – und überhaupt allen Musikinteressierten 29 – eben keine fertigen Bilder vorlegt, sondern Impulse zur ei-genen Introspektion durch Überschriften gibt. Sie greift damit die Idee des sog. Cha-rakterstücks (auch Genrestück oder -bild) auf, dessen Inhalt durch einen Titel um-rissen wird, wobei der Hörer frei assoziieren kann und nicht auf ein bestimmtes Programm festgelegt wird.30 Dass dieserart Musik auch pädagogisch intendiert ist, belegte schon der Theoretiker, Komponist und Lehrer Daniel Gottlob Türk, der in der Vorrede zu seinen » Sechzig Handstücke[n] für angehende Klavierspieler « di-daktisch begründet:Bey den deutschen Ueberschriften – die anfangs vielleicht ein wenig auffallen dürften – hatte ich vorzüglich die Absicht, auf den herrschenden Charakter oder auf irgend einen besondern Zweck des Tonstücks aufmerksam zu ma-chen, und dadurch den Lernenden, seinen Kräften gemäß, dem jedesmal erfor -derlichen Vortrage etwas näher zu bringen. Ich wählte dazu einzelne Verse von allgemein geschätzten Dichtern, Sentenzen, Sprüchwörter, kurze Inhalts-Anzeigen u.d.g. Oft wären freylich mehrere Worte, als der hierzu bestimmte Raum erlaubte, nöthig gewesen. Indeß kann doch schon dies wenige einigen Nutzen schaffen, wenn man dem Lernenden zeigt, welcher Vortrag in diesem oder jenem Falle erfordert wird.31 28 Ebd., S. 56f. Die Entfaltung der Problematik im Musikunterricht hinsichtlich der fehlenden semanti -schen Eindeutigkeit von Musik bietet auch Julius Merling, für den die Lösung eher » Texte mit Nach -ahmungen äußerer Erscheinungen (Tonmalerei)« sowie » Epische und didaktische Texte (Musika-lisches Gewand)« sind. Julius Merling: Der Gesang in der Schule, seine Bedeutung und Behandlung zur Förderung musikalischer Einsicht und religiös-ästhetisch-gemüthlicher Bildung, Leipzig 1856, Kap. 15: » Musikalisches Verständnis « , S. 108ff.29 Bemerkenswert ist der kleine Unterschied von Ramanns » Allgemeiner musikalischer Erzieh- und Unterrichtslehre der Jugend « (1873) von der ersten Auflage zur zweiten (1898), in welcher der Zusatz » der Jugend « entfällt.30 Vgl. Bernhard R. Appel: Charakterstück, in: MGG2, Sachteil 2, Kassel u. a. 1995, Sp. 636–642, hier Sp. 636f.31 Daniel Gottlob Türk: Sechzig Handstücke für angehende Klavierspieler: Erster Theil, Leipzig und Halle 1792, Vorerinnerung. Nicht immer wird darin ein Vorzug gesehen. So schreibt z.B. Alexis Hol -