Chopin reloaded (chpn_ op35_ 4.mid)43 lende Antwort auf die Frage nach einem tieferen musikalischen Sinn des letzten Sat-zes der b-Moll-Sonate. Wagen wir im Sinne von Kinzler weiterführend den » speku-lativen « Versuch einer gewissermaßen » synthetischen Analyse « mit Hilfe einschlä-giger Computer-Software, den Versuch einer von der Analyse zur Synthese fort-schreitenden, schöpferisch-formenden Interpretation, die neuen musikalischen Sinn generiert, also eine quasi-komponierende Form des Musizierens bzw. der Interpre-tation, wie sie ansatzweise von guten Pianisten beim Spiel dieses Satzes herauszu-hören ist. Wagen wir einen Versuch, den 4. Satz als » hintersinnig « , als von zukunfts-weisenden kompositorischen Hintergedanken des Komponisten getragen, neu zu verstehen. Etwa in dem Sinne, dass es (optisch) verborgene Themen herauszuheben gilt, vergleichbar etwa mit Chopins Etüde Nr. 10 aus op. 25 (Allegro con fuoco), in deren triolischem Oktavenspiel beider Hände eine Melodie eingetragen ist, die es analog zum umgekehrten Motto der anstehenden Festschrift » Ich höre was, was du nicht siehst?« im Finalsatz der 2. Klaviersonate jedoch noch zu entdecken gilt. Mit Blick auf die musikwissenschaftlich fundierte Analyse und Interpretation von nicht notierter oder schriftlich nur rudimentär fixierter Musik (Pop, Jazz, außer-europäische Musikformen) kommt noch eine weitere Möglichkeit der Analyse in Frage, die darin besteht, die musikalische Wirkung und Auffassung des seltsamen Finales der 2. Chopinschen Klaviersonate durch Interpretationsvergleiche der zahl-losen Einspielungen zu ermitteln. Eine auditive und visuelle Erfassung und Gegen-überstellung kann mit den heutigen Mitteln der digitalen Audiotechnik relativ ein-fach und effektiv ermöglicht werden.1. Exkurs: Computerbasierte Analyse von Audiodaten Mit spezieller Software für soundfähige Computer stehen dem Musikwissen-schaftler unterschiedlichste Möglichkeiten der akustischen wie auch mu-siktheoretischen Analyse von Musik zur Verfügung. Musikalische Parameter können extrahiert werden und über eine geeignete symbolische Repräsenta-tion verschiedenen algorithmischen Verfahren ausgesetzt werden, um einer musiktheoretischen Analyse eines Werks zu dienen, um bestimmte Rezep-tionsbedingungen zu untersuchen, um musikinformatische Einsichten zu ge-winnen oder im Sinne einer computergenerierten Variation neue künstlerische Prozesse anzustoßen.Im krassen Unterschied zur aktuellen (Pop)-Musikproduktion, die ohne Com-puter inzwischen undenkbar ist, muss man für die computerbasierte Analyse eine eher bescheidene Akzeptanz in der Musikwissenschaft konstatieren, auch wenn statistische Analysen und die Suche von musikspezifischen » Features « in großen Datenmengen (z. B. Volksliedkonturen) seit den 1960er Jahren durchaus erprobt wurden und seitdem verfeinerte Methoden wie beispiels-weise eine automatisierte Klassifizierung und Kategorisierung von Musik mit statistischen Rechenoperationen (Music Information Retrieval), die Überprü-