Chopin reloaded (chpn_ op35_ 4.mid)51 Das Fehlen jeglicher Spielanweisungen ist daher nicht als enge Zwangsjacke ei-ner völlig eingeebneten, konturlosen, monotonen und künstlerisch inhalts- und ge-sichtslosen Interpretation, sondern vielmehr als Aufforderung zur freien Entfaltung des Interpreten zu verstehen, und keiner der oben angeführten Pianisten ist wirk-lich in der Lage, den Satz absolut gleichmäßig, ohne jeden Akzent dahinfließen zu lassen. Die generelle Anweisung » sotto voce « widerspricht dieser Auffassung kei-neswegs, denn im eher zarten Spiel könnten Konturen umso deutlicher gezeichnet werden. (In letzterer Hinsicht versagen allerdings einige der untersuchten Interpre-ten durchaus, wenn der Satz im vollen Pedal und undifferenziertem Forte kakopho-nisch verschwimmt.)In Anlehnung an Leichtentritt und Cholopow soll zur Verdeutlichung des hier beschriebenen Ansatzes einer ›analytisch-synthetischen Interpretation‹ des Finalsat-zes die schon erwähnte MIDI-Datei /chpn_ op35_ 4.mid/ mit Computerhilfe beispiel-haften Umstrukturierungen unterzogen werden, um den latent innewohnenden musikalischen Deutungen auf die Spur zu kommen.3. Exkurs: Codierte Musikinformationen Für die musiktheoretische Annäherung sind Musikdaten noch aufschlussrei-cher, wenn sie nicht als Audioaufzeichnung, sondern in symbolischer Darstel-lung vorliegen und der Notentext computergerecht codiert werden kann.69 Es gibt verschiedene Verfahren und Codes, die von dem 1981 eingeführten und weltweit verbreiteten MIDI-System oder speziellen Composersprachen wie MAX/MSP bis hin zu forschungsrelevanten Codierungen reichen, z. B. die Verwendung des Easie&Plaine-Codes für die automatische Analyse der vom Nutzer eingegebenen Noten im » Computerkolleg Musik – Gehörbildung « 70 oder das an der Universität Osnabrück entwickelte MUSITECH,71 das für komplexere Anwendungen nicht nur die Noten codiert, sondern auch Metada-ten über die Einzelheiten einer Partitur u. a. m. enthalten kann. Der in diesem Beitrag verwendete MIDI-Code ist für die digitale Vernetzung von Tasteninstrumenten (Synthesizer, Keyboards) als tastenbasierter Code ent-wickelt worden, so dass nicht alle Feinheiten einer musikalischen Interpreta-tion – etwa mit einer Violine – problemlos notiert werden können, aber für die hier anstehende Analyse und Synthese von Soloklavierspiel ist eine MIDI-Codierung erst einmal hinreichend, denn neben der Speicherung von ange-schlagenen Tasten (= Noten) werden auch anschlagsdynamische Werte und die 69 Vgl. z. B. Hartmuth Kinzler: Musikalische Analyse und ihre Darstellung mittels kommerzieller Se-quencer- und Composersoftware, in: Neue Musiktechnologie. Vorträge und Berichte vom KlangArt-Kongreß 1991 an der Universität Osnabrück, Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften, hrsg. von Bernd Enders unter Mitarbeit von Stefan Hanheide, Mainz 1993, S. 301–320.70 Bernd Enders und Tillman Weyde: Computerkolleg Musik – Gehörbildung, Kurse 1 – 6. Überarbeite-te und erweiterte Version für Windows, Mainz 1999, engl. Version Mainz 2002.71 Vgl. hierzu http://musitech.fmt.uos.de/, letzter Zugriff 01.10.2011.