Chopin reloaded (chpn_ op35_ 4.mid)53 MUSIKBEISPIEL 3b: Version für Jazzcombo (mit drumset)Arrangement wie in Musikbeispiel 3a, hier aber mit Schlagzeugbegleitung im Swing-Stil, halbautomatisch generiert mit Groove Agent II von Steinberg, so dass die rhythmisch-metrischen Besonderheiten in der Melodik (z. B. latente 3er und 2er-Gruppierungen) besser hervortreten.Ein langsameres Tempo ist allerdings unabdingbare Voraussetzung für eine deut-lichere Gliederung der Achteltonketten durch eine wie auch immer geartete Akzent-setzung, dynamische Konturierung und agogische Nuancierung.Diese Interpretationsauffassung vertritt insbesondere die bereits erwähnte Pia-nistin Hélène Grimaud in einer Einspielung von 2005. Bei einer Spieldauer von knapp anderthalb Minuten 73 kann sie den Satz äußerst durchsichtig und musika-lisch abwechslungsreich darbieten, so dass eben nicht der Eindruck einer kontinu-ierlichen Kette von fast verschwimmenden Achteltriolen entsteht, sondern vielmehr die Wirkung einer Vielzahl miteinander verwandter und sich fortspinnender Moti-ve, die sich episodisch aufeinander beziehen und auf diese Weise eine temporäre Strukturierung in Momentform ergeben. Zwar ergibt sich dadurch noch keine grö-ßere formale Geschlossenheit, aber doch so etwas wie ein poetisches Gesamtbild, wie man es trotz stilistischer Andersartigkeit vielleicht bei Claude Debussy, Leoš Janáček oder Chick Corea finden mag.Eine weiterführende These drängt sich auf, wenn man sich die ziemlich konse-quent repetierenden Muster einer linear geführten Melodik des Chopinschen Final-satzes der 2. Klaviersonate anschaut. György Ligeti hat die Nähe zu einer in den 1960ern entstandenen Kompositionsform, der Minimal Music amerikanischer Kom-ponisten, schon früher erkannt, einer Musik, die sich diametral zur damals in Euro-pa vieldiskutierten seriellen Kompositionsweise eines Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen verhält. Ligeti hat im 2. Satz seiner Komposition für zwei Klaviere,74 betitelt mit » Selbstportrait mit Reich und Riley (und Chopin ist auch dabei)« , eine Passage integriert, die im melodischen Duktus deutlich an das Vorbild anschließt (unisono, Achtelketten, ähnliche Intervallbewegungen, wenn auch harmonisch noch weniger tonal) – dabei das rasche Tempo der meisten Interpreten durch über-steigernde Anforderungen ironisch karikierend, indem er kategorisch vorschreibt: » Lo stesso tempo: so schnell wie möglich, oder noch schneller « (vgl. Abb. 8).73 Nur Cortot und Oldenbourg benötigen etwa die gleiche Zeit und zumindest bei Oldenbourg ist eine ähnliche Intention wie bei Grimaud zu spüren, allerdings deutlich weniger konsequent ausgeführt. 74 1976 für die Kontarsky-Brüder geschrieben.