54 Bernd Enders Abbildung 8: Ausschnitt aus G. Ligetis » Selbstportrait mit Reich und Riley (und Chopin ist auch dabei)« In der amerikanischen Minimal Music wird die Funktionalität der traditionellen Formen und Harmonien aufgegeben und ein zielgerichteter, spannungssteigernder Aufbau eines Werkes bewusst vermieden. Die in Paris lebende Musikwissenschaft-lerin Ivanka Stoĭanova verbindet mit der repetitiven Musik eine » ziellos bewegliche, auf der Stelle tretende, durch interne Gleichsetzung aller Energien konstante, innere Stabilität « und sie zitiert Philip Glass mit den Worten: » Die beste Musik existiert vollkommen, ganz, integral.« 75 4. Exkurs: Expressive und regulierende Codes In diesem Zusammenhang sei auf eine interessante Überlegung des amerika-nischen Musikphilosophen Peter Kivy hingewiesen, der die Innovationen der Minimal Music in einem größeren musikhistorischen Kontext analysiert.76 Die historische Entwicklung der Musik sei durch die Herausbildung zweier Codes gekennzeichnet: d.i. zum einen der » expressive Code « der westlichen Kunst-musik, der durch Abwendung von der Polyphonie mit der Erfindung der Oper entstand und auf einer emotional bestimmten Sprachähnlichkeit beruht, also in gewisser Weise als linguistischer Code zu verstehen ist, und d.i. zum ande-ren der » regulierende Code « , der sich als formale Grundlage mit der In-strumentalmusik ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert herausbildete und zugleich eine neue Form der Musikrezeption erforderte, die sich idealiter durch die volle Aufmerksamkeit des Hörers (in öffentlichen Konzerten) für die 75 Ivanka Stoĭanova: Die » Neue Einfachheit « in der heutigen Praxis, repetitive Musik, Klangenviron-ments und Multimedia-Produktionsprozesse, in: Zur » Neuen Einfachheit in der Musik « , hrsg. v. Otto Kolleritsch, Wien / Graz 1981, S. 151.76 Peter Kivy: Die Einführung von Codes und der Bruch mit ihnen. Zwei Revolutionen in der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts, in: minimalisms – Rezeptionsformen der 90er Jahre, Tagungsband des Festivals der Berliner Gesellschaft für Neue Musik, hrsg. von Christoph Metzger, Nina Möntmann und Sabine Sanio, Berlin 1998, S. 62–74.