56 Bernd Enders reiten. Damit wird ein Musikereignis potentiell ins Unendliche fortgeschrieben und insofern letztlich das Werk als geschlossene Form aufgegeben. Philip Glass, einer der führenden und bekanntesten Vertreter des amerikanischen Minimalismus, no-tierte in seinem Stück » Two pages « ,80 das er seinem großen Konkurrenten Steve Reich widmete, als Spielanweisung Wiederholungszahlen über den Takten, z. T. auch in verschachtelter Schleifenbildung für einzelne Taktteile (wie häufig in Com-puterprogrammen üblich); für Chopins Finalsatz würde sich ein entsprechendes Verfahren bestens eignen (vgl. die exemplarische Darstellung in Abb. 9).Abbildung 9: Darstellung des Finalsatzes als » mögliche « Minimal Music-Version, orientiert an » Two pages « (1968, für Steve Reich) von Philip Glass 81 MUSIKBEISPIEL 4: Minimal Music-Version Die exemplarisch beigefügte Version des Finalsatzes in Minimal Art ist aller-dings nur etwa doppelt so lang wie der Originalsatz, um die verschiedenen Möglichkeiten der patternorientierten Interpretation des Stücks – in kompak-ter Form – anzudeuten. Linke und rechte Hand sind zur besseren Durchhör-barkeit und Verdeutlichung der zeitweiligen Pattern-Verschiebungen auf zwei verschiedene Instrumente aufgeteilt. Die Repetitionen können im Arranger-Fenster einschlägiger Sequencer-Programme (hier: Cubase 5) durch einfache Cut&Paste-Operationen vergleichsweise leicht realisiert und die satztech-nische Wirkung durch Hörvergleiche rasch ermittelt werden. In der Repetition ist sogar die Akzentsetzung zur Hervorhebung der melodiegene-rierenden Spitzentöne nicht einmal erforderlich, da der Hörer aus wahrnehmungs-psychologischen Gründen überhaupt nicht anders kann als eine innewohnenden Motivik herauszuhören (es sei an die oben erwähnten Experimente von Diana Deutsch erinnert). Diese Gesetzmäßigkeit lässt sich auch bei einer konzentrierten Rezeption der oben beschrieben MIDI-Einspielung des vom Computer vollkommen legato gespielten Finalsatzes erfahren. Eine weitgehend beliebige Ausdehnung des Stücks – zumindest auf die Länge der anderen Sätze – könnte auch das Interesse der Performanceforschung wachrufen, die sich z. B. mit den pianistischen Belastungen 80 Eine Realisation mit animierter Partitur ist zu sehen unter: http://www.youtube.com/watch?v=5antXqfUQrQ&feature=related, letzter Zugriff 10.08.2011.81 Das für diesen Beitrag konzipierte beigefügte Musikbeispiel einer möglichen Minimal Music-Version weicht von dem Notenbild ab!