Chopin reloaded (chpn_ op35_ 4.mid)57 bei der Aufführung von Erik Saties » Vexations « (frz. Quälereien!) intensiver ausein-andergesetzt hat.82 Es sei also hier die These aufgestellt, dass die grundlegende Idee der Minimal Music, die prozesshafte, zirkulär-lineare Fortspinnung von iterativen Phrasen, die-sem Satz ebenfalls zugrunde liegen könnte und als einstimmige Pattern-Struktur das Potential zur improvisatorischen Entfaltung enthält. Gerade die offensichtlich intendierte Reduktion des Satzes (Chopin strich sogar noch zwei Takte heraus, wie oben schon erwähnt) bestärkt die Annahme, dass mit dem Finalsatz eher ein inspi-rierendes Gerüst als eine vollständig ausformulierte Komposition vorliegt. Mit an-deren Worten: Chopin hat lange vor dem Aufkommen der amerikanischen Minimal Music die Grundidee dieser Musikform geahnt und im Finalsatz seiner 2. Klavierso-nate – ansatzweise – zu realisieren versucht. Wie sich in einem Seminar am Institut für Musikpädagogik und Musikwissen-schaft der Universität Osnabrück zeigte, sind verschiedene Werke der Kunstmusik – vom Barock bis zur Moderne – geeignet, als Grundlage für eine minimalistische Umformung zu dienen. Eine aufschlussreiche Osnabrücker Magisterarbeit (von Holger Schwetter) macht deutlich, dass die Wiederholung im weitesten Sinne in der Musik nicht nur seit der Antike eine große Rolle spielt, sondern auch, dass die sich gewissermaßen einschleifende Wiederholung (Loop) eine beachtenswerte Bedeu-tung für die musikalische Entwicklung und Wirkung eines Stücks haben kann.83 Coda: Finale Sätze und Gedanken Was wäre der Gewinn der hier exemplarisch vorgestellten computerbasierten analy-tisch-synthetischen Interpretation – deren methodisches Prinzip selbstverständlich noch weiter systematisiert werden müsste? Werke der vergangenen Zeit könnten durch neue, zeitgemäße Interpretationen eventuell aus dem Museum (d.h. aus dem etablierten, erstarrten Kulturbetrieb) geholt werden. Die Stiladaption wäre von ih-rem Makel einer Zweitverwertung zu befreien. Möglicherweise wäre dies ein erfolg-versprechender Weg zur Ausweitung der Zielgruppe, vor allem mit Blick auf jünge-re Hörerschichten.Das hier lediglich skizzierte Interpretationsmodell könnte auf der Grundlage ei-ner computergestützten Analyse und Synthese als zukunftsweisende und vielver-sprechende Methode (→ Computer-aided Analytical & Synthetical Interpretation of Music)84 ausgebaut werden und neue Wege der musikwissenschaftlichen Analyse 82 Reinhard Kopiez: Die Performance von Erik Saties Vexations aus Pianistensicht, in: Musikwissen-schaft zwischen Kunst, Ästhetik und Experiment. Festschrift Helga de la Motte-Haber zum 60. Ge-burtstag, hrsg. von Reinhard Kopiez, Würzburg 1999, S. 303–311.83 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in: Hartmuth Kinzler: » Kind im Einschlummern « – Versuch über Chopins ›Berceuse‹ op. 57, in: Musik – Geschichte(n) – Erzählen. Freundesgabe für Hans-Christian Schmidt-Banse zur Emeritierung, hrsg. von dems., Osnabrück 2009, S. 161–201.84 Abzukürzen als CASIM; eventuell auch CASIMIR (d.h. Computer-aided Analytical & Synthetical In-terpretation of Music in Retirement), damit ein reiches Betätigungsfeld für forschungsorientierte Mu-siktheoretiker andeutend, die sich nicht länger mit der Vergabe von Credit Points und ähnlichen Ver -