62 Sabine Giesbrecht ihm für die musikalische Darstellung des Sujets traditionelle Kompositionsmittel ungeeignet erschienen. Unter dem Einfluss seines Lehrers Arnold Schönberg entwi-ckelte er einen der freien Atonalität verpflichteten Kompositionsstil, der geprägt ist von eigentümlichen, zuweilen grotesken musikalischen » Kommentaren « , die ihre eigene Sprache sprechen.» Zeitungsausschnitte für Gesang und Klavier « Der Zyklus » Zeitungsausschnitte « ist neuartig vor allem wegen seiner für die Gat-tung des Klavierliedes unüblichen dokumentarischen Textvorlagen. Eisler lässt Kin-derreime, Zeitungsannoncen und andere Texte aus dem alltäglichen Leben Revue passieren, die im Konzertrepertoire der Zeit in der Regel nicht zu erwarten waren. Der Werktitel ist irreführend, da nur zwei der insgesamt zehn Nummern Zeitungs-ausschnitte sind.Eisler beginnt mit zwei Liedern aus der Kinderwelt, » Mariechen « und » Kinder-lied aus dem Wedding « , die sprachlich im Stile von Straßenliedern verfasst sind und Assoziationen zu Bildern und Figuren von Heinrich Zille aus dem Leben Berliner Proletarierfamilien hervorrufen können. Es folgen zwei Heiratsannoncen, in denen ein » Kleinbürgermädchen « seine Vorzüge als Ehefrau anpreist (Nr. 3) und ein ver-witweter Grundbesitzer eine Mutter für sein verwaistes Kind sucht (Nr. 6). Beide Stücke bedienen sich einer für das Annoncen-Genre typischen, auf das Nötigste be-schränkten Alltags-Sprache und beanspruchen jeweils im Titel, » Liebeslieder « zu sein, ein Gattungsbegriff, der unzutreffend und im Zusammenhang mit den Texten höchst widersprüchlich ist.Ebenso gewöhnungsbedürftig für ein bürgerliches Konzertpublikum ist die drei-teilige » Enquête « (Nr. 5), mit der Eisler unter der Überschrift » Die Sünde « (5.1) die Ansprache eines Landschulrates an » Kinder der unteren Volksschulklassen « zitiert. Hier lässt er im Mittelteil mit dem Titel » Mutter und Vater « (5.2) die Jugend selbst zu Worte kommen und von ihren erbärmlichen häuslichen Verhältnissen berichten, denen sie entfliehen möchte, und sei es durch den » Tod « (5.3), der als Übersiedlung » in ein besseres Jenseits « begrüßt wird. Der Zyklus endet mit der » Frühlingsrede an einen Baum im Hinterhaushof « (Nr. 8), der – vergleichbar mit den dort lebenden Kindern – im Düsteren vegetiert und daher gegen sein Erblühen zu streiken beab-sichtigt.Zwei Lieder beziehen sich auf den Ersten Weltkrieg, darunter als einzige literari-sche Vorlage die » Predigt des Feldkuraten « (Nr. 7) aus der Romanbeilage » Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk « von Jaroslav Hašek.2 Es ist wohl kein Zu-fall, dass er gerade aus diesem Werk zitiert, das Erwin Piscator 1927 in Berlin, also fast zeitgleich mit der Uraufführung von op. 11, in einer Bühnenfassung zur Auf-führung brachte. Auch das » Kriegslied eines Kindes « (Nr. 4), mit einem von Eisler verfassten Text, nimmt, wie der Titel zeigt, Bezug auf Kriegsereignisse.2 Der Roman entstand von 1921 bis 1923 und ist unvollendet geblieben.