Hanns Eisler: » Kriegslied eines Kindes « 65 det.6 Man erfährt lediglich, dass es sich um ein enges Verwandtschaftsverhältnis handelt, und das wird stereotyp wiederholt und zum Hauptthema des Liedes erho-ben. » Meine Mutter wird Soldat « , dieser Satz bildet Anfang und Ende der Erzäh-lung und unterbricht immer wieder ihren Ablauf.Einen scharfen Kontrast dazu bildet das zweite Thema, das in lautmalerischen Formulierungen wie » Trara, tschindra « und später » Ratata « an die Kriegs-Szenerie erinnert. Seine Botschaft ist ambivalent und lässt offen, was seine nach Kinderart ausgedrückten Intonationen von Musikinstrumenten ausdrücken sollen. Gehören sie zum Erzähltext des Kindes, das sich vielleicht mit solchem Geschrei der Situa-tion entziehen und sich entlasten möchte? Oder ist dieses » Trara « als von außen kommender, zynischer Kommentar eines anonymen Beobachters aufzufassen? Ge-wiss ist nur, dass es zusammen mit dem ersten Thema das formale Gerüst bildet, in-nerhalb dessen sich der Bericht des Kindes über das Leben und Sterben seiner Mut-ter in vier Abschnitten abspielt.Das Sujet muss für viele Hörer der 1920er Jahre eine Zumutung gewesen sein. Es verletzt mit einer Frau als » Soldat « die für selbstverständlich gehaltene Rollenver-teilung zwischen den Geschlechtern und spricht traditionellen bürgerlichen Lebens-vorstellungen und patriotischen Ehrbegriffen Hohn. Der soldatische Mann hat of-fensichtlich nach der Niederlage des Kaiserreiches und der vom Versailler Vertrag diktierten drastischen Verminderung deutscher Truppen ausgedient und an Wert verloren. Diese Vorstellung war schwer erträglich und der damit verbundene Ver-lust an männlichem Ansehen und politischem Einfluss selbst im Konzertsaal wohl kaum zu akzeptieren.Als Vorführung einer verkehrten, aus den Fugen geratenen Welt mag das Lied dagegen wohl amüsant und grotesk im kabarettistischen Sinne gewirkt haben. Für diese Art der Unterhaltung war der bürgerliche Konzertsaal jedoch nicht geeignet. Der naive, durch Nachahmungen quäkiger Kinderinstrumente unterbrochene Text musste eine ganze – von der militärischen Niederlage und ihren sozialen und poli-tischen Folgen zutiefst betroffene – Generation irritieren und brüskieren. Darüber hinaus schien das Lied die Kriegsheimkehrer und die Uniform als » Ehrenkleid « der Nation zu verhöhnen und das Kämpfen auf ein der nationalen Bedeutung des Krie-ges unangemessenes Niveau herab zu ziehen.Hinzu kommt ein weiteres, erst auf den zweiten Blick zutage tretendes Ärgernis, nämlich der respektlose Rückgriff auf das Kinderlied » Hoppe hoppe Reiter « im Kontext des Sterbevorgangs der Mutter. Der Tod auf dem Schlachtfeld wird an die-ser Stelle von Erinnerungen an einen in diesem Zusammenhang kindischen und provokant wirkenden Vers begleitet. Bei näherer Betrachtung erweist sich dieser so-gar als Schlüssel zum Verständnis des Liedes.6 Die Anonymität handelnder Personen ist Merkmal expressionistisch konzipierter Werke und auch in anderen Werken der Zeit festzustellen, so etwa in Arnold Schönbergs » Erwartung « mit dem Libretto von Marie Pappenheim. Dazu Siegfried Mauser: Das expressionistische Musiktheater der Wiener Schule, Regensburg 1982, S. 16.