Hanns Eisler: » Kriegslied eines Kindes « 67 schwarze Köchin da « für jene Ängste, die schwer auf dem Hauptprotagonisten Os-kar Matzerath lasten und ihn fest im Griff haben. Grell singend und trommelnd kommentiert der » kleine « Oskar Ereignisse des Zweiten Weltkrieges bis zum bitte-ren Ende. Der Roman endet mit der Wiederkehr der ominösen, lebenslang gefürch-teten, schwarzen Köchin.10 In beiden Fällen symbolisiert ein » schwarzes « Kinderlied den tiefen Schrecken und das Gefühl existenzieller Bedrohung angesichts grausamer Kriegserlebnisse. Auch erwachsene Hörer werden sich betroffen fühlen, wenn eine in früher Kindheit erworbene Urangst durch literarische oder musikalische Vorlagen in Erinnerung ge-rufen und reaktiviert wird.Mit dem Zitat des Kinderverses regrediert Eisler absichtsvoll auf eine entwick-lungsgeschichtlich frühere Stufe. Die kindlichen Ausdrucksformen und das darin enthaltene Spielkonzept verfremden und verformen das Kriegs-Sujet, ein Vorgang, der – wie der Lied-Text erkennen lässt – den Abbau eines höheren sprachlichen Ni-veaus einschließt, allerdings einem auf ästhetischen Genuss eingestellten Publikum auch Einiges abverlangt.Form und Struktur Nicht nur mit dem Text des » Kriegsliedes « , sondern auch mit der Musik macht Eis-ler allenfalls geringe Konzessionen an bürgerliche Hörgewohnheiten und Unterhal-tungsbedürfnisse. Er verzichtet auf eingängige, sangbare Melodien und verwendet keine Märsche oder Gassenhauer-Zitate, keine schmissigen Tanzrhythmen und kei-ne Sozialromantik, wie sie etwa bei Kurt Weill zu finden sind. Im » Kriegslied « er-probt er die Möglichkeiten freier Atonalität und knüpft damit an Erfahrungen der zweiten Wiener Schule und Kompositionen seines Lehrers Arnold Schönberg an.Getreu der Devise » Der Text ist primär und die Musik nicht sekundär « 11 reagiert das Lied gestisch, rhythmisch, agogisch und mit einer hoch differenzierten Dyna-mik auf die Textvorlage, ohne sie mit traditioneller Harmonik emotional aufzula-den. Es verbieten sich Assoziationen, die sich aus dem Erleben von Kategorien wie Dur und Moll, Konsonanz und Dissonanz oder der Logik klassischer Kadenzfolgen herleiten.Stattdessen arbeitet Eisler mit überschaubaren Strukturen, mit Wiederholungen von Themen und Motiven und ihren Varianten, die dem Text zugeordnet sind und auch musikalisch den Nachvollzug erleichtern. Der dünnstimmige, von akkor-dischen Triebspannungen befreite Tonsatz lebt von der motivisch-thematischen Sub-stanz der beiden Themen und dem dazu gehörigen Klaviersatz.Haupt- und Seitenthema sind ihrer Struktur, ihrer Dynamik und ihrem seman-tischen Gehalt nach vollkommen verschieden. Eine dem Sprachduktus angepasste,10 Die Angst, die dem kleinen Oskar früher immer » im Rücken saß « , kam ihm, wie er am Schluss des Romans bemerkt, » fortan entgegen « . In: Günther Grass: Die Blechtrommel, Frankfurt a. M. 1962 (= Fischer TB 473), S. 493 11 Betz, Hanns Eisler, S. 214 (s. Anm. 1).