Hanns Eisler: » Kriegslied eines Kindes « 69 Konstitutiv für die Binnenstruktur des Liedes ist ein internes Bezugssystem, das alle Teile der Komposition durchzieht. Es lebt vom motivischen Material der beiden zentralen Themen, bzw. von dem sie stützenden, darunter liegenden Klaviersatz. Exemplarisch sei dieses Verfahren an den Takten eins bis sieben des Stückes darge-stellt. Die erste Episode 13 besteht aus Abspaltungen, die sich aus dem Material der knapp zweitaktigen Eröffnung herleiten. Singstimme und Klaviersatz von Takt eins und zwei sind sozusagen der Steinbruch, aus dem die Fortsetzung des Satzes gestal-tet wird. Absteigende, chromatische Folgen mit Tonwiederholungen beziehen sich auf das Mutter-Thema in der Singstimme,14 und der durch eine markante Phrasie-rung hervorgehobene Tritonus im unteren System des Klaviers wiederholt sich als Umkehrung zu Beginn von Takt drei.15 Die aufsteigenden Nonen in Takt zwei bis vier können als davon abgeleitete Modelle aufgefasst werden.Das darauf folgende Trara-Signalthema 16 wird in der Singstimme ausschließlich vom Tritonus beherrscht, der als Motiv bereits erprobt ist. Im Klavier drücken sich Marsch-Elemente im Viervierteltakt aus, der durch einen kräftigen Akzent und nachschlagende Terz-Repetitionen sowie rhythmisch synchron zur Singstimme ver-laufende Punktierungen seinen militärischen Charakter zu Gehör gibt. Auch aus diesem Material leitet Eisler eine Fülle von Verarbeitungs-Möglichkeiten für die späteren Episoden ab. Das nachfolgende Mutter-Thema wird mit einer Variante des bereits bekannten, zum melodischen Höhepunkt hin an- und abschwellenden Kla-viermotivs von Takt zwei vor- und nachbereitet 17 und mit einer Tritonus-Sequenz in Takt sieben abgeschlossen.Intervalle wie None und Tritonus erweisen sich im weiteren Verlauf des Stückes nicht nur als beliebige Tonfortschreitungen, sondern als eigenständige Motive. Sie treten unter anderem als Sequenzen und in rhythmisch-metrischen Varianten auf, vollziehen Richtungswechsel und erweisen ihre Wandlungsfähigkeit im Ausdruck nicht zuletzt in Verbindung mit unterschiedlichen Akzentformen.Ein Netz weiterer motivischer Bezüge überzieht das gesamte Lied, die sich letzt-endlich alle zu den beiden Hauptthemen zurückverfolgen lassen.Zum Verhältnis von Text und Musik im Hauptthema Nach Eislers eigenen Aussagen ist die Qualität eines Vokalwerkes von Inhalt und Form des Textes abhängig. Dieser müsse vom Komponisten möglichst selbst » mit wahrhaftem Ernst ausgewählt oder selbst gebildet werden.« 18 Die Musik soll nicht 13 » Da zieht sie Hosen an mit roten Quasten dran « , Takte 2–4.14 Im Klaviersatz, rechte Hand, Takt 3.15 Übergang von Takt 2 zu Takt 3, linke Hand, Tritonus und Umkehrung. Das Intervall ist zugleich die Vorausnahme des gänzlich vom Tritonus bestimmten Seitenthemas » Trara […]« .16 Takt 5f.17 Takte 6 und 7 im unteren System. Dieses Motiv bringt sich unter anderem in der Coda bei Takt 40 noch einmal besonders deutlich in Erinnerung.18 Eisler: Verhältnis von Text und Musik, S. 257 (s. Anm. 3).