72 Sabine Giesbrecht Variante, dieses Mal auf » tschindra « , einer stockenden, von einer Pause auseinander gezogenen, absteigenden Tritonus-Sequenz.Wenn die Mutter später ins Lazarett und ins » Himmelbett « kommt – ein mehr-deutiger Begriff, der Geborgenheit und Wärme verspricht, hier aber Verwundung und Tod andeutet –, taucht der Anfang des Signalthemas in der Gesangsstimme mit der Erweiterung » Trara – Trara,« wieder als fallende Tritonus-Sequenz auf,25 dieses Mal aber metrisch um ein Achtel verschoben und mit zusätzlichen Akzenten auf der ersten Silbe. Das anschließende » Ratata « macht sich » breit « und erscheint als provo-zierende Geste und zynischer Begleitkommentar für die nun sterbende » Soldatin « .Insbesondere an dieser Stelle zeigt sich die Ambivalenz des zweiten Themas. Es bleibt offen, ob es überhaupt Bestandteil der Erzählung des Kindes ist. Vielleicht soll der Eindruck entstehen, dass es in eine schrill klingende Kindertrompete bläst oder – wie Oskar Matzerath – mit » Ratata « die Trommel als Begleitmusik zum bö-sen Schicksal seiner Mutter schlägt. Vielleicht sind es auch verzerrte Klänge einer fernen Kriegsfront, die herüber klingen und den Tod der Mutter begleiten.Die heile Welt ist in jedem Fall verloren. Der kindisch entstellte militärische Ges-tus des Alarm-Themas kann nicht drastisch genug davon erzählen, dass etwas nicht stimmt, dass Gefahr droht, von der selbst Frauen und Kinder nicht verschont blei-ben.Die Episoden – Austragungsort einer Satire?Während die beiden Themen – wie bei Refrains üblich – nur unwesentlich verän-dert werden, erlauben die vier Episoden mit dem fortlaufenden Bericht über das Schicksal der Mutter mehr gestalterische Freiheiten. Die im Text nur verhalten wie-dergegebene Kriegswirklichkeit wird dabei mit musikalischen Seitenhieben bedacht und satirisch kommentiert. Ein bitterer Humor durchzieht die Musik, der Bestand-teil einer übertriebenen und seiner Intention nach kritischen, aber auch dem Expres-sionismus verpflichteten Intensivierung des Ausdrucks ist.Im Bericht des Kindes von der Einkleidung der Mutter 26 ist es die Uniform, die den Spott des Komponisten herausfordert, der den Rock mit den blanken Knöpfen in Takt neun sarkastisch mit einem » scherzando « begleitet. Äußerlichkeiten, etwa die roten Quasten oder die langen Schaftstiefel und der Helm » mit Kaiser Wilhelm drauf « , beeindrucken zwar das Kind, aber die Musik widerspricht ihm. Sie treibt der Erzählung die ohnehin unglaubhafte Harmlosigkeit aus.So durchbricht der Komponist die syllabische Deklamation, indem er die roten Quasten gedehnt und seufzerartig in einer kleinen Sekunde » herunterbaumeln « lässt.27 Aus dem Arsenal traditioneller Affektfiguren stammt in der zweiten Episode auch die mehrfach auftretende tremoloartige Figur als Kommentar zu den schönen 25 Takt 37f.26 Takte 2–4 und 8–15.27 Takt 4.