Hanns Eisler: » Kriegslied eines Kindes « 73 blanken Knöpfen an des Kaisers Rock. Diese wird als Melisma von der Singstimme aufgegriffen, die gerührt und mit schwankender Stimme aufschluchzt 28 und so ih-ren exaltierten Gefühlen für den Monarchen Ausdruck gibt. Die gleiche Tremolo-Figur bildet etwas später den glucksenden Unterton zum Helm » mit Kaiser Wil-helm drauf « .29 Damit distanziert Eisler sich von der naiven Bewunderung für die Uniform, obwohl er doch deren schlichtere Variante vermutlich selbst einmal getra-gen hat.Ein weiteres Mittel der Distanz ist der Einsatz unsanglicher Intervalle. Der Ton-satz ist durchzogen von Nonen, Septimen und Tritoni, die angesichts der kindlichen Erzählung befremdlich und wie aus einer anderen Welt erscheinen.Bereits das Anlegen des Uniformrocks in Takt neun ist in der Singstimme gro-tesk mit zwei groß dimensionierten Intervallschritten, einer aufsteigenden Septime mit nachfolgendem Nonenabstieg, unterlegt, die orientierungslos zu torkeln schei-nen. Ähnlich verfährt Eisler wenig später in der Singstimme von Takt 14f. bei der Erwähnung des Helms » mit Kaiser Wilhelm drauf « . Das Abbild des Monarchen und obersten Kriegsherrn des Deutschen Reiches erscheint wie mit fahrigen Pinsel-strichen gemalt, die unkontrolliert nach oben und nach unten zielen, und zuletzt in einer Duodezime abwärts und danach mit einem gewaltigen, die Oktave um eine große Sexte überschreitenden Satz nach oben springen – eine Herausforderung auch für Interpreten.Der Einsatz des Gewehrs erfolgt » etwas eilend « bei Takt 19 mit punktierten Wechselnoten, die bereits aus dem Signalthema bekannt sind. Sie sollen mit ihrem energetischen Potential die Soldatin offenbar zum Kampf anspornen. Allerdings kann sie mit ihrer Flinte nur planlos » hin und her « schießen, und selbst die De-ckung, die sie im » Schützengrab'n « sucht, bewahrt sie nicht vor der späteren Ver-wundung.Diese begleitet Eisler grotesk mit einer Folge waghalsiger Distanzen. Bereits im Schützengraben erscheinen absteigende Nonen,30 die in absurden Sequenzen mit Riesenschritten nach unten staksen, wo sie beim Fraß der » Rab'n « landen. Dort be-schleunigen sie ihr Tempo im neu ansetzenden munteren Dreivierteltakt, wobei sie durch ihre Phrasierung gestisch verschärft werden und dazu noch bei jedem ihrer Schritte decrescendieren. Dadurch erhalten sie einen lamentierenden, jaulenden Un-terton, der vom Schmerz der Verletzten zu zeugen scheint.Die bei Takt 26 erreichte räumliche Tiefe im Klavier wird schließlich beim Ein-satz des Mutter-Themas durch einen exzessiven Sprung nach oben aufgefangen. Die Bass-Linie schwingt sich in einem extremen, Oktave plus None umfassenden Schwung nach oben, um dann erneut einen rasanten Absturz zu vollziehen. Die Symbolik dieser für das Lied zentralen Phrase ist offensichtlich. Das verminderte Tempo, die atemlosen Tonwiederholungen in der Gesangstimme sowie die sie be-28 Auseinanderziehen von » dran « zu » drahahahan « in Takt 10.29 Klavierstimme, rechte Hand, letztes Viertel, Takt 12.30 Takt 23f., linke Hand der Klavierstimme.