74 Sabine Giesbrecht gleitenden extremen Sprünge in überwiegend abwärts gerichteter Bewegung lassen in ihrer Dramatik keinen Zweifel am schlimmen Schicksal der Mutter.Der vierte und letzte Abschnitt der Erzählung 31 von der Einlieferung der ver-wundeten Soldatin ins Lazarett und ins » Himmelbett « ist frei von satirischen musi-kalischen Hinweisen. Das Kind ahnt offenbar, dass seine Mutter dem Tod geweiht ist und setzt seinen Bericht ausdruckslos und kaum vernehmbar fort.32 Seine frühe-re flüssige Sprechweise wird stockend und von Pausen durchbrochen.33 Eisler ge-staltet das Erschrecken und das damit verbundene stimmliche Versagen durch Un-terbrechungen der melodischen Linie, ein in der traditionellen Affektenlehre als » Apokope « bekanntes Vorgehen. Von kaum unterdrückter Furcht künden im Bass regelmäßige Intervallschläge, die sich in Dreierformationen und in chromatischer Folge bedrohlich nach oben schrauben,34 von einem Ritardando angehalten und von zwei Fermaten schließlich zum Stillstand gebracht werden.Die Zeit der Mutter ist abgelaufen, der Tod, der namentlich nicht in Erscheinung tritt und seine Tätigkeit diskret in dem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Him-melbett verrichtet, kann nun gehen. Damit ist die Erzählung beendet, nicht aber das Lied, das mit » Trara « und einem höhnischen » Ratata « fortgesetzt und mit einer letz-ten, sozusagen posthumen Wiedergabe des Mutter-Themas sowie einer sprachlosen Coda zum endgültigen Abschluss kommt.Rhythmisch-metrische Störmanöver Die dem » Kriegslied « eigene musikalische Grundstimmung lässt sich als Aufregung und Atemlosigkeit beschreiben. Sie entsteht in erster Linie durch die Vermeidung einer metrisch gleichmäßigen Basis, durch einen geradezu exzessiven Gebrauch mo-tivisch-thematischer Einsätze inmitten eines Taktes und durch zusätzliche, oft uner-wartete Akzente, die mit Empfindungen der Überraschung und des Erschreckens korrespondieren.Unruhe erzeugen vor allem die bis zum Schluss des Liedes unbeirrt beibehalte-nen, jedoch kurzfristig veränderten Taktvorschriften. Ständig wechselt der musika-lische Satz vom Zweiviertel- in einen Dreiviertel- oder Vierviertel-Takt, dem gele-gentlich ein fünftes Viertel angehängt wird.35 Dadurch herrschen je nach Taktart verschiedene Betonungsverhältnisse.36 Bei einem Gesamtumfang von 41 Takten ver-langt Eisler 21 Taktwechsel, die zum Teil unmittelbar aufeinander folgen. Auf diese 31 Takte 29–34.32 Takt 32: » senza espr.« und » sempre ppp « .33 Takte 32–34, Singstimme.34 Takte 31–34.35 Takte 6 und 17 (ohne Angabe), Takt 38f. mit der Angabe 5/4.36 Takte 1–3: 4/4; Takt 4: 2/4; Takt 5: 4/4;Takt 6: 5/4; Takte 7–12: 4/4; Takt 13: 2/4; Takte 14–16: 4/4; Takt 17: 5/4; Takt 18: 2/4; Takt 19: 4/4; Takt 20: 2/4; Takt 21: 3/4; Takte 22–24: 2/4; Takte 25–26: 3/4; Tak-te 27–28: 4/4; Takt 29: 3/4; Takt 30: 4/4; Takte 31–34: 3/4; Takte 35–37: 4/4; Takte 38–39: 5/4; Takt 40: 4/4; Takt 41: 2/4.