Hanns Eisler: » Kriegslied eines Kindes « 75 Weise wird ein regelmäßiger metrischer Pulsschlag systematisch umgangen und eine verlässliche rhythmisch-metrische Orientierung entfällt.Den Eindruck der Unregelmäßigkeit unterstützen auch verhältnismäßig viele Tempoangaben auf engem Raum.37 » Zurückhaltend « ist das Thema der Mutter, während mäßig bewegte Viertel das häufig wiederkehrende » Tempo I « bestimmen. Ritardando und Accelerando sowie andere Tempo-Modifikationen wie » pesante « oder » breit « und nicht zuletzt Fermaten, die den Fortgang völlig zum Erliegen brin-gen, wirken ebenfalls auf die Zeitgestaltung ein. Sie gehören einerseits in das Um-feld der jeweiligen Textaussage, verstärken aber andererseits die latente Unrast, da sie sich zusammen mit verschiedenartigen Akzenten ebenfalls auf das Metrum aus-wirken. Aggressive Sforzati, Fortepiano- und Fortissimopiano-Angaben, subito For-te oder Balken, Dächer und kurzzeitige Crescendi modellieren in immer neuen Kon-stellationen die verschiedenen Phrasen. Skandierte Tonrepetitionen und Staccato-Folgen wirken wie Serien von Schlägen. Alle Akzentformen verleihen dem Sinn des Textes Nachdruck, im musikalischen Kontext führen sie allerdings auch ihr energe-tisches Eigenleben und können zu synkopischen Schrecksekunden umfunktioniert werden 38 oder den Text stören, indem sie widersinnige Wortbetonungen vorneh-men, zum Beispiel » dann kommt sie in den Schützen-grab'n « .39 Da die Singstimme überwiegend syllabisch dem Sprachduktus folgt, fällt diese Passage aus dem Rah-men.Insgesamt sind die Unregelmäßigkeiten und Störungen, die Eisler der metri-schen Basis des Liedes zumutet, Teil des Konzeptes, das keinesfalls Gefühle der Si-cherheit aufkommen lassen will.» Die Sache selbst « Die Musik ist die Interpretin und emotionale Kommentatorin des Textes, der die Anwesenheit von Gefahr, Gewalt und Tod nur mühsam verbergen kann. Ihre manchmal geradezu panischen Bewegungen und ihre exaltierte Dynamik mit vielen unerwarteten Akzenten schaffen Unruhe und entfalten im Detail eine höchst diffe-renzierte Ausdrucksskala, welche die emotionale Reserviertheit des Erzählers unter-läuft und unglaubwürdig macht. Sie ist imstande, der Angst von Mutter und Kind Ausdruck zu verleihen. Angst als körperliches Symptom ist verbunden mit einer unregelmäßigen Herztätigkeit und einem beschleunigten Atem, die sich in der Komposition widerspiegeln.Das Motiv der Angst wird schon zu Beginn des Liedes exponiert und begleitet den Erzähler bis zum Ende. Sie äußert sich in der beklemmenden Enge des chroma-tischen Haupt-Themas wie auch im Alarm-Geschrei des Seitenthemas, die beide als 37 Insgesamt 23 Angaben: Zurückhaltend – Tempo I (Mäßig bewegt) – zurückhaltend – Tempo I – poco rit. – Tempo I – rit. – Fermate – a tempo – Pesante – Tempo I – Zurückhaltend – Tempo I – Rit. – Mol-to pesante – rit. – Ruhig – rit. – Fermate – Tempo I – breit – zurückhaltend – Tempo I.38 Takt 8, Klavier, linke Hand.39 Takte 22–24.