76 Sabine Giesbrecht Refrain allgegenwärtig sind. Die Episoden versagen dem Zuhörer rhythmisch-metrische Orientierungsmöglichkeiten und können Empfindungen wie Unbehagen und Erschrecken auslösen, die einer erhöhten Atem- und Pulsfrequenz im Zustand der Angst entsprechen.Die Ursache für die Angst, der allgegenwärtige Tod, ist durch verschiedenartige Abstiegsfiguren gekennzeichnet. Der Gestus des Fallens ist Bestandteil des Mut-ter-Themas und latent auch mit dem Kinderreim präsent. In der abgründigen Coda erweist er am deutlichsten seinen tieferen Sinn, indem er formal die für das Ende ei -nes Werkes notwendigen Schlussempfindungen erzeugt und zugleich das Verdäm-mern der Mutter sowie das vielsagende Verstummen des Kindes symbolisiert.Man könnte selbst die A-Tonikalität, die Loslösung des musikalischen Satzes von der Tonika-Basis, als » bodenlos « und als System deuten, das ohne einen festen Be-zug im freien Raum agiert und daher nicht mehr die früheren Sicherheiten zu bie-ten vermag.Welche Wirkungen mit diesem Kompositionsstil erzeugt werden können, weiß Eisler von seinem Lehrer Arnold Schönberg, dem er sich trotz mancher Differenzen sehr verbunden wusste. Viele Jahre später schreibt er mit Bezug auf das 1909 kom-ponierte Melodram » Erwartung « : » Es ist in diesem Schönbergschen Stil der Aus-druck der Nervosität, der Hysterie, der Panik, der Verzweiflung, der Verlassenheit und des Terrors auf das äußerste ausgedrückt. Man kann mit einiger Vorsicht sagen, daß der Grundcharakter der Schönbergschen Musik die Angst ist.« 40 Angst – die hat der junge, kriegserfahrene Hanns Eisler gewiss zu Genüge erfah-ren. Mit diesen Erlebnissen und der Musik Arnold Schönbergs im Kopf setzt er mit dem » Kriegslied « seinen individuellen Weg als Komponist fort.40 Hanns Eisler: Gesellschaftliche Grundfragen der modernen Musik. [1948], in ders.: Materialien zu ei-ner Dialektik der Musik, Leipzig 1973, S. 187. Eisler fährt mit Bezug auf Schönberg fort: » Er hat lange vor der Erfindung des Flugzeuges bereits die Schrecken der Menschen im Luftschutzkeller unter den Bombardements vorgefühlt. Er ist der Lyriker der Gaskammern von Auschwitz, der Konzentrations-lager von Dachau, der ohnmächtigen Verzweiflung des kleinen Mannes unter dem Stiefel des Fa-schismus. Das ist seine Humanität. Es zeugt von der Genialität und dem Instinkt Schönbergs, daß er das zu einer Zeit ausdrückte, als für den kleinen Mann die Welt noch sicher schien. Was immer man gegen ihn vorbringen möge, er hat nicht gelogen.«