82 Martin Gieseking kennbar, denn auch die relativen Tonhöhen werden in der Notenschrift auf einer li -nearen Skala angeordnet, obwohl ihre Frequenzen in einem exponentiellen Verhält-nis zueinander stehen.9 Der optische Ausgleich Durch die asymmetrische Form einer Note und die beim Richtungswechsel des Hal-ses erfolgende horizontale Verschiebung des Halsansatzes auf die andere Noten-kopfseite entsteht bei einigen Konstellationen äquidistant aufeinanderfolgender gleichwertiger Noten mitunter der Eindruck unregelmäßiger Notenabstände. Ur-sächlich für diese optische Täuschung ist das von den Hälsen gebildete Raster, das sich bei wechselnden Halsrichtungen verändert: Folgt auf einen aufwärts gerichte-ten Hals ein abwärts gerichteter, so scheinen die betreffenden Noten oder Akkorde dichter beieinanderzustehen. Umgekehrt wirkt der Abstand beim Zusammentreffen von Noten mit außenliegenden Hälsen größer, obwohl die Notenköpfe gleich weit voneinander entfernt sind. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, findet in der Pra-xis ein optischer Ausgleich durch leichte Abstandsveränderungen statt.Diese Abstandsvariationen stellen quasi das notengrafische Pendant zur Buchsta-benunterschneidung, dem Kerning dar, das beim Schriftsatz zum optischen Aus-gleich zu groß wirkender Buchstabenzwischenräume zum Einsatz kommt. Wäh-rend heute nahezu alle Textverarbeitungen das Kerning beherrschen, fehlt in kom-merziellen Notensatzprogrammen eine vergleichbare Automatik, sodass die Ab-standskorrektur manuell vorgenommen werden muss. Die Größe der Abweichung von der Normaldistanz ist dabei von der Notenkonstellation sowie der angestrebten Notendichte abhängig. Im Normalfall wird der Abstand von Noten- oder Akkord-paaren, deren Köpfe aufeinander gerichtet sind, um eine halbe bis eine ganze No-tenkopfbreite verringert – sofern das kleinste Intervall zwischen den Akkorden min-destens eine Terz beträgt.10 Bei Prim- bzw. Sekundabständen erfolgt eine Abstands-reduktion um maximal eine viertel Notenkopfbreite, da andernfalls die Gefahr be-9 Da die menschliche Tonhöhenwahrnehmung einer annähernd logarithmischen Skala unterliegt, kann die Wahl des linearen Tonhöhenrasters direkt auf Basis physiologischer Zusammenhänge erklärt werden. Eine vergleichbare Beziehung besteht zwischen Tempowahrnehmung und -notation natür-lich nicht.10 Vgl. u. a. Hader: Werkstatt eines Notenstechers, S. 60f. (s. Anm. 1); Wanske: Musiknotation, S. 138 (s. Anm. 5); Gould: Behind Bars, S. 41 (s. Anm. 3).