Die chronometrische Sprachfunktion 103 gen bei der Artikulation führen. Daher überrascht es nicht, dass Markiertheitsbe-schränkungen in den genannten Texten eine herausragende Rolle spielen.(17) TECUM > TECU (CV *C)Hier wird die offene Silbe gegenüber der für mittelitalienische Sprecher schwerer artikulierbaren Silbe mit konsonantischem Auslaut präferiert. (18) figuriam > friguriam (HARMONIE)Die erste Silbe enthält einen r-Einschub in Harmonie mit dem Anfangsrand der be-tonten Silbe; solche Veränderungen finden sich auch sonst in der mittelitalienischen Dialektlandschaft (capra > crapra). Es ist allerdings zu beachten, dass es sich hier nicht um einen Dialekttext handelt.(19) surgirà la creatura (HARMONIE)Hier liegt ein Fall von Vokalharmonie vor: die mittelitalienische Grundform ist sur-gerà (dialektaler Infinitiv: surge), das unbetonte vortonige e wird dann angehoben. (20) Sancta > Santa (*CC)Hier liegt eine typische Vereinfachung der Silbenstruktur vor, wie wir sie schon aus der italienischen Standardsprache kennen. (21) nobis > nove (CV, HARMONIE)Der Ausfall des auslautenden s ist in Italien nicht überraschend, die mittelitalieni-sche Form der ersten Person Plural wäre jedoch nui oder nue. Die Sprecherin er-kennt allerdings nicht, dass es sich hier um ein Pronomen handelt, sondern assimi-liert das zwischenvokalische b einfach zu v (die Aussprache tendiert allerdings – wie in Mittelitalien üblich – eher zu einem bilabialen [β]). Damit verschiebt sich al-lerdings die Wortbedeutung, denn es ist plötzlich von ›neun Sündern‹ die Rede. Diese Bedeutungsverschiebung stört natürlich nicht, da es ja nicht um einen kom-munikativen Text geht, sondern um Zeitmessung. Zusammenfassend lassen sich folgende Eigenschaften von Texten nennen, die der Zeitmessung dienen:– Markiertheitsbeschränkungen spielen eine ausgesprochen starke Rolle, wäh-rend Treuebeschränkungen zurücktreten.–Diese optimalitätstheoretische Besonderheit erklärt sich aus dem Zurücktre-ten des Inhalts gegenüber dem Ausdruck, da wir es bei den Ausdrucksmit-teln der Zeitmessung nicht mit sprachlichen Zeichen im Sinne Saussures mit Ausdrucksseite und Inhaltsseite zu tun haben.