Kanonik versus Rhetorik: Vom Geiste der Kirchenmusik Hugo Distlers 107 Choräle für gemischten Chor a cappella « aus dem Jahre 1931, herausgegeben von Christhard Mahrenholz, mit einer Widmung » An Friedrich Blume « .8 Das den drei-ßig, nach dem Verlauf des Kirchenjahres geordneten Choralbearbeitungen zugrun-de liegende Prinzip ist zunächst die Gestaltung einer an den Choral angelehnten Melodie, deren Rhythmus und Intervallfolge mal mehr oder mal weniger von der jeweiligen Choralzeile geprägt ist. Diese Melodie wird kanonisch in den vier bis sechs Stimmen durchgeführt. Am Schluss bleiben die Stimmen auf ihrem Zielton liegen, bis die zuletzt eingesetzte Stimme das Ende ihres Parts erreicht hat. Die lie-genden Stimmen werden bisweilen umspielt. Als Imitationsintervall werden Oktave und Oberquinte bzw. Unterquarte verwendet, wobei nicht immer mit der Grundge-stalt begonnen wird. Der Einsatzzeitpunkt der einzelnen Stimmen ist variabel. Die kreativen Möglichkeiten des Komponisten belaufen sich auf die Gestaltung der Me-lodie, die Festlegung der Einsatzzeiten der einzelnen Stimmen und – eingeschränkt – ihrer Intervalle. Bei längeren Chorälen – z. B. » Wie schön leuchtet der Morgen-stern « – werden mehrere Kanonsektionen aneinandergefügt, indem Einsatzfolge und -zeitpunkt bei den einzelnen Soggetti nach Art der Motette variiert werden. Die erste Choralbearbeitung der Sammlung, » Der Heiden Heiland komm her « ,9 zeigt paradigmatisch die Art der Kompositionsweise (siehe Notenbeispiel auf der folgen-den Seite).Peppings Verwendung der Kanontechnik als Kompositionsprinzip in seinem frü-hen Choralbuch ist eher singulär geblieben. Zwar hat der Kanon in jener Zeit, den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, eine gewisse Renaissance erfahren. Dazu beigetragen hat Fritz Jödes dreibändige Sammlung » Der Kanon « , die 1925/26 er-schien.10 Der erste Teil versammelt Kanons beginnend mit dem englischen » Som-merkanon « aus dem 13. Jahrhundert und endend bei Bach mit einem Anhang beste-hend aus Palestrinas » Missa ad fugam « ; der zweite Teil bringt Kanons von Tele-mann bis Cherubini mit angehängten in Kanons gesetzten » Zehn Geboten der Kunst « von Joseph Haydn; der dritte Teil führt bis in die Gegenwart, wobei zeit-genössische Komponisten mit zahlreichen Kompositionen vertreten sind, so etwa Armin Knab, Hermann Grabner, Wilhelm Maler und Eusebius Mandyczewski. Dar-über hinaus spielt der Kanon bei Komponisten der Zeit eine gewisse Rolle, begin-nend bei Max Reger bis hin zu Arnold Schönberg, Anton Webern und Paul Hinde-mith. Obwohl Jödes Sammlung auf die Jugendmusikbewegung bzw. Singbewegung ausgerichtet war, steht der Kanon in der intensiv geführten Diskussion dieser Bewe-gungen um die Musik keineswegs im Zentrum. In der umfangreichen, mehr als tau-8 Erschienen im Schott-Verlag ohne Jahresangabe unter der Nr. 3273; die Jahresangabe 1931 erfolgt nach dem Werkverzeichnis der Pepping-Gesellschaft (http://www.pepping-gesellschaft.de/Werkver-zeichnis.htm; 6.1.2014) und Burkhard Meischein: Pepping, in: MGG2, Personenteil, Bd. 13, Kassel-Stuttgart 2005, Sp. 282. 9 Es handelt sich um eine andere deutsche Übertragung des Hymnus » Veni redemptor gentium « von Ambrosius von Mailand als die bekannte Verdeutschung von Martin Luther mit dem Titel » Nun komm, der Heiden Heiland « . Der Abdruck den Notenbeispiels erfolgt mit freundlicher Genehmi -gung des Schott-Verlages.10 Der 1. und 2. Teil erschienen 1925, der 3. Teil 1926 im Georg Kallmeyer Verlag, Wolfenbüttel.