Nachricht aus der Quintenkommission Walter Heise 1955: Tonsatzunterricht an der Berliner Musikhochschule (2. Semester). Die Aufgabe zur nächsten Stunde war: Schreiben Sie eine 2-stimmige Invention!Mein Thema war ein – damals wie heute – bekannter Jazz-Titel: George Shea-rings » Lullaby of Birdland « .1 Da das Stück zusammen mit anderen Arbeiten aus verschiedenen Studien-abschnitten dem Prüfungsamt vorgelegt werden musste, war die Frage, wie der Vorsitzende auf ein nicht ausschließlich der abendländischen Musikkultur ver-pflichtetes Thema reagieren würde. Die erwartete Reaktion blieb aus – möglicher-weise mit Rücksicht auf den amtierenden Direktor der Hochschule, Boris Blacher, der sich schon häufiger des Jazz-Idioms bedient hatte.Es ist hier daran zu erinnern, dass Jazz in der damaligen Schulmusiker-Ausbil-dung keine Rolle spielte. Das begann sich erst in den 1960er Jahren, etwa mit Her-mann Rauhes Buch » Musikerziehung durch Jazz « (1962), sehr langsam zu ändern. Ältere Lehrer und Hochschullehrer blieben in der Regel beim » Volkslied « als unab-dingbarer Voraussetzung für die Beschäftigung mit anspruchsvolleren musika-lischen Kunstwerken. Otto Daubes vielzitierter Buchtitel aus den fünfziger Jahren » Vom Volkslied zur Symphonie « blieb lange die alleinige Richtlinie.1991: Nach mehr als drei Jahrzehnten fand sich ganz überraschend das unten an-gefügte Notenblatt mit der Invention wieder. Die Idee zu einem angefügten Choral-satz entstand aus der Übereinstimmung der sechs Anfangstöne mit dem Choral » Jesu meine Freude « . Das konnte Zufall sein, andererseits hatte ich George Shearing als profunden Kirchenmusik- und Bach-Kenner kennengelernt.1998: Eines Tages bekam der Kollege Ingolf Henning » Invention und Choral « als eine Art Gegengabe für das zur Feier meiner Emeritierung verfasste schöne » Schu-mann-Stückchen « über h-eis-e. Da er in » Invention und Choral « Beispiele für Quint-parallel-Vergehen fand, ließ er mich das – in völliger Verkennung meiner diesbe-züglichen Fähigkeiten – sogleich wissen. Ich bat, weil es sich so ergab, Hartmuth Kinzler um Nachhilfe und erfuhr in einer E-Mail vom 28. Januar 1999 Folgendes:1 George Shearing *13. August 1919 in London; † 14. Februar 2011 in Manhattan, New York.