138 Hanns-Werner Heister freilich ohne das unabdingbare Halten und Verstehen mittels psychoanalytischer Ausbildung.17 Bei aller Empathie, Einfühlung, dem ständigen dialogischen Wechselspiel von Übertragung und Gegenübertragung, Wechsel des ›Stellenwerts‹ von Subjekt und Objekt: Es gibt im Therapieprozess keine Identität von beiden, und von Verschmel -zung kann keine Rede sein, so groß auch die Bedeutung entsprechender Phantasien sein mag. Stets bleibt die analytische Distanz gewahrt, die » Abstinenz « – jedenfalls wenn die Therapierenden lege artis verfahren. Empirisch gibt es natürlich Grenz-überschreitungen. Auch darin sind wiederum musik-analytische Verfahren und Haltung vergleichbar. Aneignungs- und Rezeptionsweisen wie das mediale » Ein-tauchen « in das musikalische Objekt mögen biographisch eine – zurückliegende – Voraussetzung für den eine gewisse Distanz implizierenden analytischen Zugang sein. Sie gehören aber nicht selbst zur Musik-Analyse, so unumgänglich wie nütz-lich auch dort eine allerdings reflektierte Subjektivität ist.Musik als Mimetische Zeremonie Musik, als lebendige, realisierte Musik, hat in eins mit der akustischen vor allem auch eine optische Dimension – und eine haptische Dimension. Denn sie ist Teil ei-nes Gesamtkunstwerks gerade des Typs Musiktheater bzw. der Mimetischen Zere-monie,18 der historisch-systematisch übergreifenden Verbindung aller Sinnesgebiete und dann Künste. Diese Mehrdimensionalität gilt auch für Musik allein, in der le-bendigen Realisierung auch des Konzerttyps. Gerade letztere Situation weist einige Ähnlichkeiten zur therapeutischen auf, zum psychoanalytischen ›Setting‹. In der klassischen Form scheint zunächst, wie einem Ideal nach im Konzert, nur das rein Akustische, und das noch konzentriert auf die Stimme in Sprechen und Hören, im Spiel zu sein. Die genuine Wahrnehmung von Musik dagegen ist intermodal: Sie schließt neben dem Hören bei Live-Musik notwendigerweise Sehen ein (abgesehen davon, dass jemand bewusst die Augen schließen kann, um sich dem reinen Hören hinzugeben; zwangsweise ergibt sich das so als abgeleitete, späte Aneignungsweise bei den rein akustischen ›Tonträgern‹). Es fehlt jedoch im psychoanalytischen Set-ting zum einen die instrumental(musikalische) Komponente. Sie wird dort aller-dings vertreten durch Gestik, Mimik, absichtliche wie unbewusste Körpersprache der AnalysandInnen. Vom Standpunkt einer traditionellen Wort-Sprachenaufassung als ›Suprasegmentales‹ nur Sekundäres und Peripheres, kann es vom Standpunkt der Psychoanalyse zum Zentralen werden, nicht zuletzt im Zusammenhang des Schweigens. Es fehlt zum andern auch die optische Komponente – jedenfalls als spe-zifisch mit der akustischen korrelierte. Ansonsten sehen die AnalysandInnen natür-17 Ausführlich: Der Spiegel, Hamburg, 23/2010, S. 120–123.18 Ausführlich zu Begriff und Sache Hanns-Werner Heister: Mimetische Zeremonie – Gesamtkunstwerk und alle Sinne. Aspekte eines Konzepts, in: Mimetische Zeremonien – Musik als Spiel, Ritual, Kunst (= Musik und: Eine Schriftenreihe der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Neue Folge, Bd. 7), Berlin 2007, S. 143–185.