Musik-Analyse, Psycho-Analyse – » und ein bißchen Adorno ist auch dabei « 145 misch gegen die kulturelle Reaktion gerichtet.34 In dieser Richtung weist auch die 32-taktige Songform (hier 30-taktig)35 als Folie, die Schulhoff allerdings mit erheb-lichen Freiheiten nur andeutet. Die Pausen sind nicht einfach Nichts, sondern ›be-stimmte Negation‹, und insgesamt die alte karnevalistische Verkehrte Welt im Klei-nen: Alles ist ins Gegenteil verkehrt: Das Zeitmaß ist ›zeitlos‹, anstelle von Noten erscheinen Pausenzeichen und Fermaten. Die obere Stimme hat den Bass-schlüssel vorgezeichnet, die untere den Violinschlüssel. Beide Stimmen haben unterschiedliche [und unsinnige, der Verf.] Taktvorzeichnungen, 3/5 gegen 7/10. Die Pausen in den Takten ergeben aber einen durchlaufenden, minutiös notierten 4/4 Takt, dessen Rhythmik durch viele Synkopen auffällt, an Ragtime oder Cakewalk erinnernd. Viermal unterbrechen Fermaten den fortlaufenden Rhythmus. In der Mitte und am Ende sind Sonnen notiert. Dazwischen tauchen, wie für eine Phrasie-rung, Kommata oder Zäsuren auf, Ausrufe- und Fragezeichen. Die Marschall-Pause im vorletzten System bezieht sich sowohl auf die Generalpause mit ih-rer figurenhaften Tradition als hier übersteigertes musikalisches Zeichen, als auch auf den Widmungsträger, » Marschall Grosz Metamusiker « , dem sich der Über- und Musikdada, » Colonel Schulhoff « verbunden und geistesverwandt fühlte. Die Vortragsbezeichnung tutto il canzone con espressione e sentimento ad libitum, sempre, sin al fine! karikiert das Ausdrucksbestreben der Musik des späten 19. Jahrhunderts und des Expressionismus: nichts klingt hier, alles wird ad absurdum geführt – » Unsinn als Sinn der Welt « .36 Der Satz enthält sogar noch etwas mehr. Offenkundig ist er, durch den Rahmen vor-gegeben, ebenfalls ein Klavierstück mit zwei Akkoladen. Schulhoff war 37 ein ausge-zeichneter Pianist; und es sieht so aus, als ob die Rechts-Links-Vertauschung inso-weit ganz pianistisch gedacht ist als imaginär-reale Überkreuzung der Hände. Der Rhythmus ist deutlich, aber auch neben einer perkussiven Nicht-Melodie in Gestalt von Repetitionen auf gleicher » Nicht-Tonhöhe « zeigen sich T. 22f. und T. 29 sogar durch die Lagerung innerhalb der Notenlinien angedeutete melodische Verläufe, Li-nien und Figuren – d h f entsprechend der von der Sechszehntel-Pause eingeschlos-senen Notenlinie und umgekehrt (das wäre also ein » Verminderter « ), oder gar, küh-ner akkordisch interpretiert, eine Terzenkette (e-c/c-a/a-f//f-d) usw.Zusätzlich verwendet Schulhoff nicht-notationelle, ikonisch-bildhafte Zeichen, Noten-Köpfe; sie sehen aus wie eine Vorwegnahme der sog. ›Smilies‹ – auch insofern ein prophetisches ›in futurum‹. Sie zeigen im Sinn einer musikalischen Rhetorik Af-fekte: zunächst (just bei Takt 12) lachend oben und weinend unten, im Schlusstakt 34 Marianne Betz: » In futurum « – von Schulhoff zu Cage, in: AfMw 56 (1999), S. 331–346, hier S. 334.35 Dafür gibt es in T. 26 genau 32 auf derselben Tonhöhe wiederholte Zweiundreißigstelpausen.36 Ebd., S. 336.37 Wie es auch Hartmuth Kinzler ist.