Musik-Analyse, Psycho-Analyse – » und ein bißchen Adorno ist auch dabei « 147 der verbal oder bildlich vorgestellte Musik als » Musik im Kopf « (Manfred Spitzer)41 imaginär-real klanglich umgesetzt werden muss. (Reale Musik durch Kinopianisten oder -orchester sind zwar Teil des Gesamtkunstwerks ›Kino‹, aber nicht unmittelbar Bestandteil des Films selbst.) Der im Buchtitel leise mit anklingende » Ätsch « -Effekt entfällt; der Sachverhalt betrifft hier Ich wie Du gleichermaßen.Im Zeichentrickfilm (Animationsfilm) dagegen hören wir, was wir sehen, und umgekehrt – jedenfalls insoweit die Filmmusik-Technik des Mickey Mousing ange-wandt wird, bei der Musik möglichst parallel und synchron zu den optischen Bewe-gungen geführt wird, und durch Übertreiben der Beziehung die Komik verstärkt.Ein Grundgedanke des vorliegenden Bandes lässt sich in entwickelnder Varia-tion auch anderweitig weiterdenken. So verwandelt sich der Relativsatz in einen Anakoluth: » Ich höre was – was du nicht siehst « , z. B. in Reklame und partiell sogar Realität mittels folgender medialer apparativer Vorrichtungen: » Alles hören, nichts ist zu sehen. Ohr-Inlays, die unsichtbare Alternative.« 42 Ich höre was, wo ihr nur seht. » Urgeräusch « , imaginär-real hörbar – » Wer das lesen könnte!« Eine spannende Verschränkung von Sehen und Hören, von ›Spur‹ und Zeichen, von Natur und Kultur verbindet in einer Art Ultra-Naturalismus ein Essay von Rilke (1875–1926). In Urgeräusch (1919)43 erinnert er sich zunächst an das (um 1890) in sei-nem Physikunterricht gebastelte Grammophon. Aber nicht der Ton, » sondern jene der Walze eingeritzten Zeichen waren mir um vieles eigentümlicher geblieben.« 44 Um 1905 dann befasste er sich so intensiv mit Anatomie, dass er einen Schädel zu Hause untersuchte: » Die Kronen-Naht des Schädels […] hat […] eine gewisse Ähnlichkeit mit der dicht gewundenen Linie, die der Stift des Phonographen in den empfangenen rotierenden Cylinder des Apparates eingräbt. Wie nun, wenn man diesen Stift täuschte und ihn, wo er zurückzuleiten hat, über eine Spur lenkte, die nicht aus der graphischen Übersetzung eines Tones stammte, sondern ein an sich und natürlich Bestehendes […] wäre –: Was würde geschehen? Ein Ton müsste entstehen, eine Ton-Folge, eine Musik … Gefühle –, welche? Ungläubigkeit, Scheu, Furcht, Ehrfurcht –: ja, welches nur von allen hier möglichen Gefühlen? verhindert mich, einen Namen vorzuschlagen für das Ur-Geräusch, welches da zur Welt kommen sollte […]« .45 41 Spitzer, Manfred: Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netz-werk, Stuttgart und New York 52005 (1/2002).42 Werbung für Ohr-Inlays in: Der Neue RUF, Neu-Wulmsdorf, 25. Juni 2011, S. 6. 43 Rainer Maria Rilke: Ur-Geräusch. In: Ders.: Gesammelte Werke, IV, Leipzig 1930, S. 285–295. 44 Ebd., S. 287.45 Ebd., S. 290.