» Von Interesse ist die Wirkung « 155 beschreibt man diese Wirkung, wenn man nicht, wie die Psychologie, den Hörer, sondern genuin musikwissenschaftlich die Musik beschreiben will?Die Funktionale Pragmatik Roman Jakobsons Die Linguistik diskutiert die hier angerissene Problematik schon seit längerem. Die traditionellen Beschreibungen von Sprache erschienen und erscheinen manchen Linguisten als reduktionistisch und das so entstehende Bild einer » langue « als ein virtuelles Konstrukt.8 Ihre Beschreibung der Bedeutung von Sprache reduzierte sich auf die in Grammatiken regelhaft beschriebene Anordnung von Lexemen, die durch Synonyme, d. h. ebenfalls durch Worte, in Lexika beschrieben werden. Als Beispiele für die Anwendung von Sprache wurden und werden Stellen aus der Literatur, d. h. aus der geschriebenen Sprache, herangezogen. Vorteil und gleichzeitig Nachteil ei-ner solchen Beschreibung von Sprache ist, dass sie ohne performativen Kontext da-herkommt beziehungsweise dieser Kontext ebenfalls sprachlich beschrieben ist. Un-ter Ausblendung des individuellen Kommunikationsaktes wird Sprache einfacher beschreibbar. Diese Beschreibung ist jedoch eine Reduktion, die stark vom Denken über Sprache als Schriftsprache dominiert wird. Ähnlich wie die Linguistik die Sprache auf Lexeme und Grammatik reduziert hat, die im begrenzten Kontext eines » Schriftstücks « bzw. eines Stücks Literatur Sinn machen, hat die Musiktheorie ihren Gegenstand reduziert auf notierbare Töne und Regeln des musikalischen Satzes, die im begrenzten Kontext eines musikali-schen Schriftstücks Sinn machen, und somit den performativen Kontext weitgehend ausgeklammert. In der gesprochenen Sprache wie auch in der performten Musik hat dieser Kontext allerdings großen Anspruch darauf, Teil des eigentlichen » Textes « zu sein. Die Verweismöglichkeiten eines einzigen, noch so kurzen gesprochenen Satzes aus Subjekt, Prädikat und Objekt, die Mimik, Gestik, Betonung, sozialer, indivi-duell-subjektiver, lokaler und zeitlicher Kontext des Sprechens bewirken, sind ge-waltig und sprengen jedes Lexikon. Ähnlich verhält es sich mit dem kleinsten Stück-chen Musik, das durch den Klang von Stimme und Instrument, durch die Handlun-gen der Musiker, durch den sozialen, individuell-subjektiven, lokalen und zeit-lichen (Kon-)Text eine riesige Vielfalt von Sinn bekommt, die der Notentext allein nicht zu erzeugen in der Lage ist. Anders als im Falle eines (fremd-)sprachlichen Textvortrags, dessen Sinn sich für all diejenigen sehr stark reduziert, die Lexeme und Grammatik nicht beherrschen, scheint ein musikalischer Vortrag kaum zu verlieren, wenn die Hörer kein Konzept von musikalisch-kompositorischer Form haben, die Sprache der gesungenen Worte nicht verstehen, keine Intervalle oder gar Töne differenzieren, keinen Instrumental-klang bewusst von einem anderen unterscheiden können. Noten lesen und verste-8 Konrad Ehlich: Funktional-pragmatische Kommunikationsanalyse: Ziele und Verfahren, in: Sprach-wissenschaft. Ein Reader, hrsg. von Ludger Hoffmann, Berlin, New York 1996, S. 183–202, hier S. 185 [zuerst erschienen 1986].