156 Dietrich Helms hen können die wenigsten Hörer und doch käme niemand darauf, Musik für diese Menschen grundsätzlich als ohne Sinn zu bezeichnen. In der Musik, so lässt sich aus dieser Beobachtung schließen, scheinen das Performative und der Kontext eine noch größere Bedeutung für die Konstitution von Sinn zu haben, als in der Sprache. Um so dringender ist letztendlich die Diskussion darüber, wie dieser wichtige Teil der musikalischen Kommunikation beschrieben werden kann. Was fehlt, sind Kriterien der Analyse, die die Wirkung gehörter Musik beschreibbar machen und zwar nicht im psychologischen Experiment, das statt der Musik die Psyche der Versuchsperso-nen im Kontext der Versuchsanordnung beschreibt, sondern in einer Form genuin musikwissenschaftlicher Analyse musikalischer Quellen. Die hier geschilderten Fragen sind in der Sprachwissenschaft Gegenstand der Pragmatik. Der Semiotiker Charles W. Morris gliederte die Zeichentheorie, d. h. die Semiotik, in Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Während die Syntaktik die Beziehun-gen von Zeichen zu anderen Zeichen beschreibe und die Semantik die Beziehung zwischen Zeichen und den Gegenständen, für die sie stehen, befasse sich die Prag-matik mit den Beziehungen zwischen Zeichen und den Nutzern von Zeichen.9 Es geht der Pragmatik um die Funktion von Zeichen, die für einen spezifischen Beob-achter in einer spezifischen Umwelt Sinn entfalten. Sie befasst sich, wie Wolfram Bu-blitz schreibt, » mit der (zeichen- und insbesondere sprachbasierten) ›Arbeit‹ […], die Menschen verrichten, wenn sie sich in der Kommunikation kooperativ und in-teraktiv über Inhalte verständigen und Beziehungen gestalten.« 10 Pragmatik zielt ab auf die Elemente der Kommunikation, die ihr Funktionieren in ihrem spezifischen Kontext sicherstellen. Sie will nicht verstehen, was eine Mitteilung lexikalisch objek-tiv bedeuten könnte, sondern wie Sinn zustande kommt, d. h. wie Kommunikation funktional organisiert ist. In so fern kann sie auch mit einer Situation umgehen, in der jeder Beobachter einer Mitteilung eigene Bedeutungen konstruiert. Zahlreiche Ansätze der linguistischen Pragmatik sind zu sehr auf das Funktio-nieren von Sprache spezialisiert, als dass sie hilfreich für eine Verwendung in der Musikwissenschaft wären. Wir suchen ja ein Instrument, mit dem man alle Medien einer musikalischen Mitteilung in gleicher Weise beschreiben kann und nicht nur die darin enthaltenen sprachlichen Anteile wie z. B. den Liedtext. So kommen z. B. die Sprechakttheorien von John L Austin und in der Folge von John R. Searle nur be-grenzt in Frage. Nur in der Wortsprache kann man z. B. unterscheiden zwischen konstativen und performativen Äußerungen. Mit Musik kann man nichts feststel-len, man kann damit nur etwas tun.11 Musik hat keinen propositionalem Gehalt, der als wahr oder unwahr beurteilt werden kann. Auch hat Musik zwar unterschiedli -che Funktionen, diejenigen, die Austin als Illokution beschreibt, z. B. Fragen, Ver-sprechen, Feststellen usw., treffen jedoch nicht auf Musik zu.12 Um musikalische 9 Charles W. Morris: Grundlagen der Zeichentheorie: Semiotik, in: Sprachwissenschaft. Ein Reader, hrsg. von Ludger Hoffmann, Berlin, New York 1996, S. 79–80, hier S. 80 [zuerst erschienen 1938].10 Wolfram Bublitz: Englische Pragmatik. Eine Einführung, Berlin 22009, S. 24.11 Ebd., S. 71.12 Ebd., S. 87.