» Von Interesse ist die Wirkung « 163 können phatische Funktionen haben, d. h. Aufmerksamkeit herstellen und binden. » Falsche « Stellen wären Anlass für eine metasprachliche Diskussion darüber, ob es sich um einen Schreib- oder Satzfehler des Komponisten handeln könnte. Hier ist der Musikwissenschaftler als Interpret des Komponisten beziehungsweise als Her-ausgeber einer kritischen Ausgabe gefragt. Im Konzert erfolgreiche Kompositionen 28 sind so angelegt, dass es ihren Inter-preten leicht fällt, mit einem möglichst großen und kohärenten Publikum zu kom-munizieren. Sie müssen so angelegt sein, dass sie möglichst vielen Menschen – ob musikalisch gebildet oder Laien – » etwas sagen « , so dass diese bereit sind, dem oft langen » Monolog « eines musikalischen Vortrags bis zum Ende Aufmerksamkeit zu schenken und anschließend darauf zu reagieren, um den Zyklus der Kommunika-tion durch zustimmenden Applaus abzuschließen. Eine Komposition ist wirkungs-voll, wenn sie Anschlussreaktionen bei ihrem Publikum hervorruft, d. h. wenn sie Sinn macht. Sie fordert zum Nachdenken (z. B. über » Bedeutungen « oder die Form) heraus, oder auch zum Träumen, sie rüttelt körperlich auf oder beruhigt, sie berührt emotional oder macht eine Gänsehaut, sie weckt den Wunsch, sie zu besitzen (und z. B. einen Tonträger zu kaufen, bzw. das Stück selbst am Instrument einzustudie-ren), sie verschafft den Hörern ein Gefühl von Gemeinschaft oder wird zum Symbol der Individualität. Für den kommunikativen Erfolg einer Komposition bei den Hö-rern ist es letztendlich gleichgültig, wie sie wirkt, die Hauptsache ist, dass sie wirkt und die Kommunikation nicht abgebrochen wird. Referentielle Funktion: Verweise auf den Kontext Musikwissenschaftliche Analyse hat sich bisher auf zwei Funktionen von Kommu-nikation konzentriert: die poetische Funktion, die durch die Analyse der Geformt-heit einer Komposition dargestellt wird, und die referentielle Funktion, die Verwei-se auf außermusikalische Sachverhalte in der Komposition umfasst. Seit ihrer Insti-tutionalisierung im 19. Jahrhundert gehört die Diskussion um Autonomieästhetik und Hermeneutik zu den großen Themen der Musikwissenschaft. Ich muss an die-ser Stelle daher nicht weiter darauf eingehen. Es scheint Konsens zu sein, dass Mu-sik » eine ästhetisch manifestierte, formal-sinnvolle Selektion von Klangereignissen, Tonreihen und -komplexen, Gestalten und ihren Verflechtungen (nicht selten auch ihren Entstehungsmodellen), Wiederholungen und Variationen [ist], in der auch ›se-mantische Enklaven‹ […] erscheinen, aber durchaus nicht vorherrschen müssen « , wie Vladimir Karbusicky unter Verweis auf einen Begriff von Tibor Kneif formu-liert.29 Die Suche nach referentiellen Zeichen in einem Notentext wäre tatsächlich die Suche nach solchen semantischen Enklaven, nach den Zeichen, die auf Gegenstände 28 Gemeint sind hier Kompositionen, die zahlenmäßig darstellbaren Erfolg mit Aufführungen ihrer Mu-sik beim Publikum haben, und nicht unbedingt Stücke, die Erfolg bei Musikwissenschaftlern und Kritikern haben.29 Vladimir Karbusicky: Grundriß der musikalischen Semantik, Darmstadt 1986, S. 5.