168 Dietrich Helms durchdringt.43 Für ihn entsteht der adäquate Sinn und der Informationswert einer Komposition aus den Zeichen, deren Funktion Jakobson als » poetische « bezeichnet. Poetische Funktion: Verweise auf die Form Ein musikalisches Phänomen wird für einen Hörer dann zu einem Zeichen mit poe-tischer Funktion, wenn er hierdurch die Formung des Mediums als Problem er-kennt. Betrachtet man die Literatur zu Sibelius' » Finlandia « , scheint die formale Struktur des Tongedichts in dieser Hinsicht nur selten Zeichenfunktion zu haben. Mit den bereits zitierten Schriften von Tanzberger, Pinder und Hepokoski ist – abge-sehen von der Konzertführerliteratur – ein großer Teil formaler Analysen der » Fin-landia genannt. Die geringe wissenschaftliche Rezeption hat sicherlich auch mit dem von Adorno geprägten negativen Image des Komponisten zu tun. Allerdings stellt das Stück den modernen Hörer tatsächlich kaum vor formale Probleme. Der Kenner der Symphonik des 19. Jahrhunderts wird vielleicht ein Spiel mit Hörerwar -tungen feststellen, wenn sich das Allegro moderato, das er als langsame Einleitung eines Sonatensatzes hört, nicht als Hinführung zur erwarteten Exposition heraus-stellt.44 Er würde vielleicht auch – als Kenner besonders der deutschen Tradition – bemerken, dass Sibelius zu Beginn keine Themen etabliert, aus denen die Form des Stücks entwickelt wird und die die zentralen Träger der musikalischen Logik sind. Adorno erkennt in seiner oben zitierten Generalkritik an Sibelius diese Abweichung als Zeichen und zwar mangelnder Qualität.45 Das Problem der » Finlandia « im Sinne Adornos ist, dass sie formal keine Proble-me macht. Alles wirkt organisch, selbstverständlich. Wie ein musikalischer Keim 46 steht am Anfang der Sekundfall, aus dem sich nach und nach über verschiedene Ge-stalten und Variationen die lange, hymnische Melodie des Schlussteils entwickelt.47 Es gibt kein prägnantes Motiv, das die strukturelle Funktion eines antagonistischen zweiten Themas einnimmt und dessen Eintreten Zeichen für formale Abschnitte sein könnte. Kontraste werden eher rhythmisch und klanglich hergestellt als dass großflächige harmonische Felder mit eigener thematischer Identität konstruiert würden. Formale Stabilität wird auf allen Ebenen vor allem durch Wiederholung hergestellt, ein technisches Mittel also, dass auf Vertrautheit statt auf Kontrast setzt. Mit seiner Beschreibung des Formschemas der » Finlandia « als weitgehend auf einer » Barform « basierend, führt Tanzberger den Leser terminologisch und an manchen Stellen auch analytisch in die Irre – sein Ziel ist es wohl auch, das Stück an eine mit-43 Adorno: Typen musikalischen Verhaltens, S. 182 (s. Anm. 7). 44 Hepokoski: Finlandia awakens, S. 81 (s. Anm. 33).45 Siehe hierzu ausführlich Lorenz Luyken: Sibelius, ein « finnischer Tschaikowsky”? Anmerkungen zur Rezeption des Symphonikers Sibelius in Deutschland. In: Sibelius und Deutschland. Vorträge des am Finnland-Institut in Deutschland, Berlin, abgehaltenen Symposiums vom 3.-7. März 1998, hrsg. von Anti Jäntti, Annemarie Vogt und Marion Heitkamp, Berlin 2000, S. 66–89, hier S. 70-71.46 Bernard Rands spricht von » germ-motives « , Bernard Rands: Sibelius and his Critics, in: The Music Review 19 (1958), S. 105–111, hier S. 108. 47 Vgl. hierzu die Darstellung bei Pinder: Form und Inhalt, S. 240–246 (s. Anm. 30).