» Von Interesse ist die Wirkung « 169 telalterliche, mitteleuropäische, vermeintlich volkstümliche Tradition anzubinden.48 Es ist jedoch eindeutig, dass Sibelius die » Finlandia « über weite Strecken aus kur -zen, variiert wiederholten Abschnitten zusammensetzt, die dann mit einem dritten Teil abgeschlossen werden, der die vorausgegangenen Abschnitte weiterentwickelt oder zu Ende führt. Das Andante sostenuto am Beginn ist ein Beispiel für diesen Aufbau aus aab und aa'b-Abschnitten. Neues entsteht in der » Finlandia « auf der stabilen Basis des Vertrauten: durch das langsame Wachsen der Melodie vom Sekundfall bis zum Schlusshymnus und durch variierte Wiederholung. Trotz der Reihungsform des Stücks macht es einen kohärenten, formal stimmigen, eben organischen Eindruck. Der Hörer wird kaum so irritiert, dass er auf die Idee kommen könnte, nach der Form zu fragen. Letztend-lich liegt alles klar zutage. Der adornitische Expertenhörer wendet sich gelangweilt ab. Der Durchschnitts-konzertbesucher dagegen ist dankbar, dass er das Stück » verstehen « kann, denn poetische Zeichen sind grundsätzlich problematisch für die Kommunikation. Ähn-lich wie Zeichen mit metasprachlicher Funktion (s. u.), führen Zeichen mit poeti-scher Funktion auf eine andere, höhere kommunikative Ebene. Am Beispiel der Sprache lässt sich das am einfachsten zeigen: Die Frage: » Warum hast du eben ›Pe-ter und Paul‹ gesagt und nicht ›Paul und Peter‹?« führt vom eigentlichen Thema des Gesprächs auf der Objektebene auf die Metaebene des Sprechens über die Geformt-heit von Sprache.49 Das gilt genauso für Unterbrechungen des Gesprächs durch Ver-ständnisfragen (d. h. Fragen nach dem Code): » Habe ich dich gerade richtig verstan-den, sagtest du ›Peter‹ oder ›Pieter‹?« In der Musik verhindern Zeichen mit poeti -scher und metasprachlicher Funktion den unbewussten Assoziationsfluss des Hö-rers. Das Bewusstsein schaltet sich ein. Statt Musik direkt wahrzunehmen, sucht man in einem anderen Medium, der Sprache, nach Kategorien, Begriffen, Umschrei-bungen, die das Wahrgenommene repräsentieren und (wieder sprachlich) erklärbar machen; poetisch: » Ist das jetzt die Exposition oder habe ich gerade gar keine lang-same Einleitung eines Sonatensatzes gehört?« ; metasprachlich: » War diese Disso-nanz gerade ein Fehler des Hornisten oder vom Komponisten so gewollt?« Ein Stück, das großen (quantitativen) Erfolg im Konzertsaal möchte, tut also gut daran, nicht zu viele Zeichen mit poetischer und metasprachlicher Funktion aufzuweisen, um den im brechtschen Sinne » kulinarisch « Hörenden nicht zu unterbrechen, der freilich nur ein Musikhörender ist, der beim Hören nicht (in Gedanken mit sich selbst oder in Worten mit seinem Nachbarn) spricht. Wenn eine Komposition weder allzu viel Semantik noch wirklich herausfordern-de Zeichen poetischer Funktion erkennen lässt, ist sie für die Musikwissenschaft auf dem aktuellen Stand der Theoriediskussion letztendlich mehr oder weniger frei von Informationen, bzw. ohne jeglichen Gehalt und daher nicht lohnend für eine weiter-gehende Untersuchung. Ihr bleibt letztendlich – wie Adorno im Fall Sibelius – nur das Staunen über einen Erfolg bei den Hörern, der sich mit ihren Werkzeugen nicht 48 Tanzberger: Die symphonischen Dichtungen, S. 31–32 (s. Anm. 38).49 Vgl. hierzu Jakobson: Linguistics and Poetics, S. 356–357 (s. Anm. 13).