» Von Interesse ist die Wirkung « 173 vorgehobenen Folge von fünf Tönen in einem Viervierteltakt auch ein irritierende, phatische Funktion hat, die sich erst mit Takt 99 auflöst, wo der Beginn von Fünf -tongruppe und Viervierteltakt zusammenfallen. Nach dem kargen, aber beschleunigenden Lokomotivenunisono der Bassinstru-mente bricht das rhythmische Bläsermotiv wie eine Erlösung aus – zum ersten Mal verwendet Sibelius hier kurz alle Instrumentengruppen gleichzeitig, wenn auch noch nicht das volle Orchester. Das Motiv hat sich jedoch – minimal, aber mit großem Effekt – verändert: Beginnt es im Allegro Moderato-Teil aus heiterem Him-mel auf der letzten Sechzehntel des ersten Viertels, ist ihm jetzt – wie ein Anker-punkt – ein Achtel auf der eins vorgeschaltet. Die Wirkung ist enorm: Aus den be-drohlichen, schwer zu berechnenden Salven in die Stille hinein wird hier ein Motor, der dem wiederholten Mittelteil (T. 99–124) seinen tänzerischen Schwung gibt – be-sonders als er in Takt 107 auch noch melodische Funktion bekommt. As-Dur ist jetzt endlich als Tonart etabliert, was dazu führt, dass die folgenden Abschnitte als längere, zusammenhängende Linien gehört werden, wenn wieder-holte Abschnitte zunächst auf dem Halb- und dann auf dem Ganzschluss enden (T. 99–106). Das Stück beginnt nach ständigen Umbrüchen, Abbrüchen, Neuansät-zen endlich zu fließen. Die Spannung löst sich das erste Mal ein wenig. Ich möchte im Folgenden nur noch auf einige Details hinweisen, die die Funk-tion haben, die Aufmerksamkeit des Hörers zu fesseln. Ein typisches Beispiel für Si-belius' Kunst zu reizen ohne zu provozieren findet sich gegen Ende des wiederhol-ten Mittelteils: In Takt 116 beginnt in den Trompeten eine in Sekundschritten ab-wärtsführende melodische Linie aus Viertelnoten, die allerdings durch eine Achtel am Anfang rhythmisch gegen das Taktmetrum verschoben ist und bereits auf diese Weise den Hörer verunsichert. Diese Linie wird von den Streichern unisono über-nommen, allerdings über drei Takte geführt. Der Hörer erwartet bereits am Ende von Takt 119 die Achtelnote, die Taktmetrum und Rhythmus wieder in Überein-stimmung bringt – in Erinnerung an die Trompeten in Takt 117. Die Auflösung wird jedoch bis Takt 120 hinausgezögert, das Symmetriegefühl des Hörers gestört. Gleich anschließend baut Sibelius wieder Spannung auf, durch die Kombination der sequenzierend aufwärts wirbelnden Streicher und des rhythmischen Bläsermo-tivs in der Form, wie sie bereits aus dem Allegro Moderato-Teil bekannt sind. Die Streicher wirbeln sich schließlich sogar über zwei Takte in den Höhe (T. 125–126), doch wieder bricht die Komposition in sich zusammen, kommt zum Stehen und verweigert die Auflösung aller Spannungen mit zwei piano gespielten, kadenzieren-den Akkorden Es-Dur und As-Dur. Nach all der Motorik und dem vollen Orchesterklang bildet die folgende ruhige, fast hymnische Melodie in den hohen Holzbläsern ab Takt 132 wieder einen großen klanglichen Kontrast. Sie ist das letzte wirklich prägnante neue melodische Element, das in der » Finlandia « vorgestellt wird – auch wenn es organisch aus dem Vorher-gehenden gewachsen ist. Die Melodie ist stark mit Pathos aufgeladen und fesselt so den Hörer, doch Sibelius baut zusätzlich eine Reihe von phatischen Elementen ein, um ganz sicher die Aufmerksamkeit auch bei diesen längsten Abschnitten der Kom-