174 Dietrich Helms position zu halten. Eines dieser phatischen Zeichen fällt bewusst erst auf, wenn man versucht, die Melodie aus der Erinnerung mitzusummen, und am Ende der ersten Phrase stolpert. So wird nach der Subdominante Des-Dur die auftaktig wirkende Dominante Es-Dur auf dem letzten Achtel von Takt 134 nicht mit dem ersten Schlag des folgenden Takts zur Tonika geführt, sondern zunächst noch einmal wiederholt. Die Tonika folgt entgegen den Erwartungen erst auf der zweiten Schlagzeit. Die Wiederholung dieser viertaktigen Phrase (T. 136–139) weist dieses Stolpern nicht auf. Hier werden die Erwartungen des Hörers erfüllt, bzw. – wenn er eine iden-tische Wiederholung erwartet – nicht erfüllt. Die Fortsetzung der Melodie ab Takt 140 hat ebenfalls eine solche » Stolperfalle « eingebaut, die allerdings nicht so deut-lich wirkt, da hier Es-Dur nicht zur Tonika geführt wird; und wieder wird die Er -wartung des Hörers getäuscht, denn in der Wiederholung wird diese Falle nicht entschärft; sie kommt vielmehr identisch wieder. Dieser mit 24 Takten längste melo-dische Abschnitt der Komposition wird anschließend noch einmal wiederholt, klanglich gesteigert durch den Wechsel von den solistischen Holzbläsern zum chori-schen, die Hörer umarmenden Klang der Streicher, der allerdings von den Holzblä-sern eingefärbt wird. So werden am Schluss ab Takt 172 noch die Oboen unisono mit den ersten Violinen geführt, um dem Klang zusätzlich Höhen und Brillanz bei-zumischen. Auch dieser wiederholte und daher eigentlich vertraute Abschnitt endet mit einer Überraschung: Er erreicht zwar die Tonika am Ende von T. 178, doch nur als Auftakt. Der letzte Takt mit der lang ausgehaltenen Tonika, den der Hörer als Abschluss einer achttaktigen Phrase erwartet, fällt aus. Stattdessen setzt noch ein-mal stark kontrastierend ein motorischer Abschnitt ein, der sein Material aus dem Lokomotivenmotiv, dem rhythmischen Bläsermotiv sowie dem Beginn des Allegro-Mittelteils schöpft. Dieser immer weiter gesteigerte Schluss kommt noch zweimal zum Halten. In Takt 193 stoppt der Satz aus voller Fahrt mit quietschenden Bremsen in einem nach einem crescendo possibile forte fortissimo im ganzen Orchester er-klingenden, über zwei Takte gehaltenen E-Dur-Septakkord. Das rhythmische Bläser-motiv bringt die Komposition schnell wieder auf den richtigen harmonischen Weg, der in Takt 202 endlich nach einem letzten Haltepunkt zur Auflösung der Spannung führt: Die Bläser schweigen für einen halben Takt und die Streicher füllen die Leere mit repetierten Vierteln, die allerdings rhythmisch immer noch keine volle Stabilität bieten und leicht irritieren, da auch sie um ein Achtel verschoben sind und so nicht mit dem Taktmetrum übereinstimmen. Doch dann setzt ein letztes Mal die einpräg-same Melodie des Schlussteils ein, hymnisch, in langen Notenwerten, getragen vom endlich vollen Orchester und ohne die oben beschriebene » Stolperfalle « . Alles ist klar und eindeutig, die Spannungen sind aufgelöst, das Stück kann mit dem » Amen « einer plagalen Kadenz enden. Mit der Untersuchung der Zeichen mit phatischer Funktion lässt sich ein Grund für die große Wirkung der » Finlandia « bei den Hörern erklären: Die Komposition legt es darauf an, ihre Hörer zu fesseln. Sibelius versteht es meisterhaft, immer wie-der neu Spannung zu erzeugen, das Vertraute zu variieren und zu steigern, Erwar-