» Von Interesse ist die Wirkung « 181 Abgesehen davon macht Sibelius seinen Hörern das Verstehen leicht, indem er das gesamte Tongedicht auf allen Ebenen formal durch Wiederholungen struktu-riert. Wie ein Redner, der seine Kernsätze und Parolen ständig wiederholt, um sie auf dieser Basis mit weiteren Argumenten zu stützen, entwickelt der Komponist sein Stück aus Wiederholungen und Weiterentwicklungen des Sekundfallmotivs. Sollten Hörer einen Abschnitt nicht verstanden haben – akustisch, in der Interpreta-tion oder der Komposition – haben sie (fast) immer noch eine zweite Chance (die al-lerdings in den meisten Fällen variiert ist). Fazit 1: » Finlandia « als » Störungssymptom « Ist die » Finlandia « ein Beleg für die von Adorno attestierte Stümperei ihres Kompo-nisten? Sibelius selbst sah das Tongedicht als » relativ unbedeutendes Stück « an.55 Doch einen mangelhaften Eindruck macht sie vor allem dann, wenn man erstens den Blick auf die poetische Funktion der Komposition eingrenzt, d. h. allein auf die Form schaut, und noch dazu zweitens die Tradition deutscher Sinfonik und ihr Mo-dell einer aus einer konstrastiven Thematik erwachsenden Form absolut setzt. Er-weitert man den Blick besonders auf die phatische und emotive Funktion, erschließt sich in der Analyse ein außerordentlicher Reichtum an geschickt eingesetzten musi-kalischen Mitteln, die den Erfolg bei den Hörern im Konzert und an den Lautspre-chern erklären können. Adorno lässt nur die Perspektive eines » Expertenhörers « gelten, der auf der Metaebene in Sprache über Musik reflektiert, statt auf der Ob-jektebene Musik (auf sich) wirken zu lassen. So kann er eine Musik, die als Musik wirkt und nicht als Provokation für sprachliche Kommunikation über Musik, nur als » Störungssymptom des musikalischen Bewußtseins « diskriminieren. Adorno steht damit in einer langen, längst nicht beendeten geistesgeschichtlichen Tradition eines Machtdiskurses, der die kognitive Auseinandersetzung mit Musik von Kom-ponisten und Interpreten hierarchisch über die der körperlichen Aneignung durch Musiker und Hörer stellt. In der Tat hat die » Finlandia « Qualitäten, die auch die » industrialisierte leichte « Musik aufweist. Phatische und emotive Zeichen bewirken, dass sie unmittelbar auf den Hörer wirken kann. Die Referenz des Titels ist für Hö-rer außerhalb Finnlands und fast einhundert Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes längst keine politische Aussage mehr, sondern wirkungsvoller Auslöser für individuelle Assoziationen. Ist ihre Wirkung deshalb gefährlich, wie Adorno warnt?56 In der Tat stellt ihr Erfolg in den Konzertsälen den (Macht-)Anspruch einer Musik, die vor allem eine poetische Funktion erfüllt, in Frage. 55 Pinder: Form und Inhalt, S. 226 (s. Anm. 30).56 Adorno: Glosse über Sibelius, S. 252 (s. Anm. 1).