186 Werner Jauk Klang ist Artefakt des Verhaltens von Dingen. Klangwahrnehmung ist demnach das Analysieren des Verhaltens von schwingenden, sich bewegenden Aspekten der Umwelt nach der emotionalen Bedeutung dieser Bewegung für den Körper – nach seinem Bewegt-Werden. Dieses Bewegt-Werden kann, wiederum von Klang beglei-tet, durch diesen ausgedrückt werden, wodurch das Bewegt-Sein intuitiv kommuni-ziert wird. Musik sei die Formalisierung dieser Wahrnehmung wie des Ausdrucks im » beziehenden Denken « ,2 ebenso wie in der Ordnung nach Spannung und Lö-sung 3 – unmittelbar immersiv Bewegt-Werden im sich Mitbewegen-Lassen der (kol-lektiven) Gestaltung von Beziehungen klanglich emotionalen Ausdrucks im Musi-zieren geschieht. Polyphonie objektiviere dieses » Wir « 4 – ein Wir aus dem eine Pop-Band kommunizierend gestalte,5 aus dessen Interaktion Jazz lebe.6 Im musikalischen Denken – vor allem jenem der mit der abbildenden Notation entstandenen europäischen Musik-Kultur – wird die Gestaltung der Dynamik des sich wahrnehmbar in der Zeit ›bewegenden‹ Klanges nach den Beziehungen des Kör-pers (zum Klang) verdrängt. Die synthetisierende Gestaltung von Momenten, durch die Bewegung des Körpers erzeugt, wird dominant – somit überstrahlt die Logik des Sehens die Logik des Hörens. Musik ist nicht mehr Gestaltung des dynamischen Klanges als Formalisierung des Hörens,7 sie wird zur seriellen Gestaltung von Mo-menten nach der Logik des Sehens. Eine intermodale Transposition 8 wird hier als kulturelle Leistung erachtet – sie kulminiert in der Gestaltung nach formalen Spra-chen, der Formalisierung dieses Denkens.Verstehen tritt damit vor Erleben. Gestaltung und Erkenntnis der Musik werden über bildgebende Verfahren gesucht. Möglicherweise ist dies ein tradierender Aspekt der bürgerlichen Kultur: das Erkennen wurde als ›sich ein Bild machen‹ ver-standen – das Bild führt zu Bildung.Die rationale Gestaltung und verstehende Rezeption der Musik aus Codes – ge-staltet über mechanistisches Denken – ist als kleiner Abschnitt in der Entwicklung von Musik zu betrachten. Dies ist ein Mediatisierungsschritt, der als Kultivierungs-prozess hoch bewertet wird – innerhalb eines allgemeinen Denkens, das an der Lo-gik des Sehens, an der Kultivierung des Empfindens im Verstehen und der Verdrän-2 Vgl. Hugo Riemann: Ideen zu einer ›Lehre von den Tonvorstellungen‘, in: Jahrbuch der Musikbiblio-thek Peters 21/22, [Ort] 1914/15, S. 1–26.3 Vgl. Heinrich Schenker: Der freie Satz, Wien 1935.4 Vgl. Theodor W. Adorno: Philosophie der Neuen Musik [1947], Frankfurt am Main 1958. 5 Werner Jauk: Pop - ein emotionales Konzept, in: Heimatlose Klänge? Regionale Musiklandschaften – heute, hrsg. v. Thomas Phleps und Helmut Rösing (= Beiträge zur Popularmusikforschung 29/30), Hamburg: 2002, S. 57-77; ders.: Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper, in: Musikwissen-schaft und populäre Musik. Versuch einer Bestandsaufnahme, hrsg. v. Helmut Rösing, Albrecht Schneider, Martin Pfleiderer (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 19), Hamburg: 2002,S. 131–152.6 Vgl. Wolfram Knauer: Free Jazz, in: MGG2, Sachteil 4, Kassel u. a. 1996, Sp. 1384–1421.7 Vgl. Sloboda: The Musical Mind (s. Anm. 1).8 Vgl. Irina O. Rajewsky: Im Zeichen der Intermedialität. Intermediales Erzählen in der italienischen Literatur der Postmoderne. Von den giovani scrittori der 80er zum pulp der 90er Jahre [Dissertation Berlin 2000], Tübingen 2003.