198 Werner Jauk Die Immersion des Hörens – Musik & digital culture Eine allgemeine Hinwendung zu Emotionalität, ein gesteigertes Bedürfnis nach Af-fekten,49 kann im Zusammenhang mit der Transgression des Mechanistischen durch Mediatisierung gesehen werden – die Hinwendung zum emotional analysierenden Hören bricht die Dominanz des rational synthetisierenden Sehens.Dynamisierung, die hohe Geschwindigkeit durch die technische Instrumentari-sierung/Mediatisierung der Interaktion des Körpers mit der Umwelt hat nicht nur rasend zum Stillstand 50 geführt, sondern zur Umkehrung der Interaktionssituation. Die Umkehrung der mechanischen Bewegung in der K-U-I und damit der Aus-schluss des mechanischen Körpers aus der Machbarkeit führt zu seiner Nutzlosig-keit. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zu alternativen Entscheidungen abseits des aus der eigenen Erfahrung erschlossenen Rationalen. Das Hedonische – als Erre-gung primäre und basale Überlebensstrategie – wird zur notwendigen (alternati-ven) Interaktion mit non-mechanistischen, weil über das begreifbare Maß des me-chanischen Körpers hinaus dynamisierten, Erlebenswelten.Codierung und damit die Schaffung von Wirklichkeit über Codes hat zu Virtua-lität geführt. Digitale Virtualitäten entziehen sich in ihrer Potenzialität zur Immate-rialität der mechanistischen Welt – mit ihnen muss alternativ interagiert werden – auch hier ist das Hedonische diese Alternative.Medien machen Sinn!51 Adaptiv besinnt sich der Körper auf seine basale Überle-bensstrategie, das Hedonische, und bindet sich damit immersiv in Interaktionen mit dynamischer Virtualität und non-mechanistischen Welten ein.Die experimentelle Ästhetik 52 der 70er Jahre, die Theorie der Gestaltung/Rezep-tion nach dem subjektiv erlebten Erregungswert von Stimulusqualitäten – zu denen auch Neuheit und der Erwartungswert, also kognitive Größen 53 gehören – erhält in der digitalen Welt neue Bedeutung. In der digital culture entstehen Ordnungen nach der hedonischen (Erregungs-)Qualität von sensorischen Ereignissen aus digita-len Codes, die – ob deren Immaterialität, also Nicht-Gebundenheit an Aspekte der Außenwelt – parallel und willentlich in Stimuli unterschiedlicher sensorischer Modi konvertiert werden.Musik ist Paradigma der Gestaltung non-mechanistischer Virtualitäten. In Zeit und Raum werden Klänge, Codes für Klänge, nach Spannung-Lösung gestaltet, nach (erlebbarer) hedonischer Regelung. Der hedonische Körper ist das Maß dieser 49 Vgl. Marie-Luise Angerer: Vom Begehren nach dem Affekt, Zürich / Berlin 2007.50 Vgl. Paul Virilio: Rasender Stillstand, München 1982.51 http://www.inm.de/index.cfm?siteid=210 (letzter Zugriff 15. 9. 2011).52 Vgl. Daniel E. Berlyne: Novelity, Complexity, and Hedonic Value, In: Perception and Psychophysics 8 (1970), S. 279–286; Daniel E. Berlyne: Aesthetics and Psychobiology, New York 1971; Daniel E. Ber-lyne: The New Experimental Aesthetics, in: Studies in the New Experimental Aesthetics, hrsg. von dems., Washington 1974, S. 1–26.53 Vgl. Vlagimir J. Konecni: Quelques Déterminants sociaux, émotionnels et cognitifs des préférences esthétiques relatives á des mélodies de complexité variable, in: Bulletin de Psychologie 30 (1977), S. 688–715.