210 Thomas Kabisch ist weder unmittelbarer Niederschlag, » Anwendung « philosophischerIdeen noch Reflex politischer Konstellationen oder persönlicher musikalischer Vorlieben. 40 In » La musique et l'ineffable « widmet sich Jankélévitch den philosophischen Problemen, die durch die ideengeschichtlichen Untersuchungen zur Virtuosität und zur französischen Musik im Begriff des Musikalischen freigelegt wurden. Das be-trifft insbesondere das Verhältnis des zentralen Prinzips der Zeitlichkeit zu den Aspekten des » faire « und des realen Klangs, die – wenn man an den Übergang zur Er-Innerung bei Hegel denkt – schwer zu versöhnen sind. Jankélévitch findet eine Lösung, indem er die polare, dialektische Struktur des Musikalischen, die seine his-torischen Analysen trägt, nun in Analogie zur Struktur des Ironischen reformuliert und radikalisiert. In einer Bewegung doppelter Negation führen Musik wie Ironie vom Viel zum Wenig und vom Fast-Nichts zu einer » totalité pneumatique « ,41 einem Ganzen, das den Charakter einer » offenen Totalität « 42 hat.Das indirekte, zweistufige Verfahren, mit dem sich Ironie (als » aktive zirkuläre Bewegung in dem Kreislauf von Zeichen und Sinn « )43 und Musik diesem Ganzen nähern, ist, damit es in seinem zweiten, » positiven « Teil gelingt, zwingend auf die Aktivität und auf die Produktivität der Zuhörer angewiesen: » Ironie ist ein Appell « .44 Damit wirkt dieses Verfahren einer verhängnisvollen Schwerkraft entgegen, gegen » unsere natürliche Neigung zu glauben « ,45 gegen den » Reflex « , » alle Erzählungen ernst zu nehmen « .46 Indem sie » diese totalisierende Versuchung, die wir das Ernst-hafte nannten « ,47 bekämpfen und stattdessen den aktiven Vollzug durch produktive Subjekte verlangen, sind und wirken Ironie und Musik anti-metaphysisch. Ihre Ba-sis ist met-empirisch.48 Indem Jankélévitch in » La musique et l'ineffable « die Ergebnisse seiner histori-schen, materialen Arbeiten » auf erweiterter Stufenleiter « philosophisch reflektiert, gewinnt er seiner Theorie eine neue Qualität, man könnte sagen: einen größeren Grad von Allgemeinheit. Die Erprobung dieses Gewinns an theoretischer Präzision in weiter ausgreifenden oder in schärfer fokussierten historischen Untersuchungen unterbleibt allerdings in dem Buch.49 Zu denken wäre einerseits an eine kritische 40 Revah 1989 und 2007. Dass verständnisvolle Zuwendung zum ästhetischen Gegenstand bei Philoso-phen durch die Theoriefähigkeit des Objekts veranlasst oder befördert werden kann, zeigt drastisch das Beispiel Georg Lukacs. » Er konnte nämlich einen Schriftsteller nur akzeptieren, wenn er eine Theorie für ihn gefunden hatte « (Adelbert Reif, Ruth Renée Reif: » Lukacs war bereit, sein Leben für eine Sache hinzugeben « . Gespräch mit István Eörsi, in: Sinn und Form 65, 2013, H. 4, S. 463–483, Zi -tat auf S. 483).41 Jankélévitch 1964, S. 96.42 Ebd., S. 91.43 » Une active circulation dans le circuit du chiffre et du sens « (ebd., S. 62).44 » l'ironie est un appel « (ebd., S. 64).45 » notre tendance naturelle à croire « (ebd., S. 64).46 » de prendre tous les récits au sérieux « (ebd., S. 74).47 » cette tentation totalisante que nous appélions le Sérieux « (ebd., S. 94).48 Detailliert in Kabisch 2014b, Teil 7.49 Man kann insoweit in » La musique et l'ineffable « ein Missverhältnis von philosophischer Erörterung und musikhistorischer Bezugnahme feststellen. Einer metaphysischen Lektüre wurde durch dieses