Französische Musik vor und nach dem Ersten Weltkrieg 213 der Revue musicale publiziert. » Quelques réflexions sur la musique « , die nach An-gaben Roland-Manuels die » Esquisse « komplettieren sollten, erschienen gar erst 1956, versehen mit der Versicherung, dass man » auch hier die Grundlage seines Denkens finde « .57 Ravels Texten, sofern sie andere als die von ihm favorisierten Aussagen enthal-ten, bestritt Roland-Manuel die Authentizität. François Lesure hat für » Mes souve-nirs d’un enfant paresseux « (1931) den Nachweis der Autorschaft Ravels erbracht, wobei die redaktionelle Mitwirkung eines Dritten, der hier eben nicht Roland-Manuel hieß, nicht auszuschließen ist.58 Dieser Text ist für die hier zur Diskussion stehende Frage von besonderem Interesse, weil er Ravels Verhältnis zu anderen französischen Komponisten und zum Fin de siècle behandelt. Dabei wird Chabrier der oberste Rang eingeräumt (» von ihm hat die gesamte französische Musik ihren Anfang genommen « ).59 Offenbar dient diese Bezugnahme der Relativierung ande-rer Einflüsse, der Befreiung von Zuordnungen zu aktuellen Parteiungen. Explizit genannt ist Debussy (» wenn die Begegnung mit Debussy mich nicht in den Grund-festen getroffen hat, so liegt das daran, dass ich schon von Chabrier eingenommen war « ),60 andere Komponisten, Satie und auch Fauré, bleiben unerwähnt. Breiten Raum nehmen Hinweise auf literarische Prägungen ein. Edgar Poe sei sein Lehrer » in technischer Hinsicht « .61 Weiter heißt es:Ich merke wohl, dass die Werke, die mir am nächsten sind, bisweilen in die Jahre kommen. So ist es mit » A Rebours « : ich kann nicht anders als ihm eine herausragende Bedeutung zuzuschreiben, aber ich weiß gleichwohl, dass es diese Bedeutung (im Augenblick!) nicht mehr hat. Aber es ändert nichts, dass es aufhört wahr zu sein im allgemeinen, für mich bleibt es immer wahr. Ohne -hin glaube ich, meine gesamte Generation hat sich in » A Rebours « erkannt, auch diejenigen, die, wie ich, die anderen Bücher von Huysmans nicht schät-zen.62 Im Ganzen entsteht so das Bild einer Modernität, die ihre Wurzeln in der Kultur des Fin de siècle hat. An der Sachhaltigkeit dieser im Text skizzierten Verbindungen ist 57 » y retrouve pas moins le fond de sa pensée « . In Orensteins Edition der Briefe und Schriften (Ravel 1989) sind die » Esquisse autobiographique « , die » Quelques réflexions « sowie der Vortrag, den Ra-vel auf seiner USA-Reise gehalten hat, herausgehoben dadurch, dass sie, getrennt von der Sammlung der übrigen Texte, als eine Art programmatischer Vorspann den Band eröffnen.58 Ravel 1987. Roland-Manuel bestreitet die Authentizität unter Berufung auf Ravels Bruder Edouard. Präzise Quellenangaben in der Vorbemerkung von François Lesure.59 » c’est de lui que toute la musique moderne française est partie « (Ravel 1987, S. 11).60 » si la révélation de Debussy ne m’a point profondément touché, c’est que j’étais déjà conquis par Chabrier « (Ravel 1987, S. 12).61 » quant à la technique « (Ravel 1987, S. 12).62 » Les oeuvres que j’aime le plus, je sens bien qu’elles commencent quelquefois à dater. Ainsi d’›A Rebours‹: je ne peux pas m’empêcher de lui donner une importance capitale et pourtant je sais que cette importance, justement! elle ne l’a plus. Mais cela a beau n’être plus vrai en général, c’est toujours vrai pour moi. Aussi bien, je crois que toute ma génération s’est retrouvée dans ›A Rebours‹, même ceux d’entr’elle qui, comme moi, n’aiment pas les autres oeuvres de Huysmans « (Ravel 1987, S. 13).