214 Thomas Kabisch nicht zu zweifeln. Die Beziehung zu Chabrier ist eng und nicht auf das Frühwerk beschränkt. Mit Poes » Philosophy of Composition « teilt Ravel die Überzeugung, dass der ästhetische Effekt aus der Konstruktion hervorgeht. Und der dandysme, der sich in » A Rebours « zeigt, hat Ravel weit über den persönlich-privaten Bereich hinaus geprägt.63 Es ist diese klare Darstellung der historischen Verwurzelung der Ravelschen Poetik, die Roland-Manuels Widerspruch, seinen Zweifel an der Echtheit des Textes hervorrufen musste. Er will aus Ravel einen Repräsentanten der Moderne der zwan-ziger Jahre machen, einen Repräsentanten, der überdies das größte Recht besitzt, als Vorläufer und Wegbereiter dieser Bewegung zu gelten. Wenn wir deutlichere Linienführung suchen, freiere Zeichnung, einen zuge-spitzten musikalischen Diskurs; wenn wir das Bedürfnis empfinden nicht nach einem Rückgriff auf die Klassik, sondern nach einer neuen Klassik; wenn wir der wohlfeilen Reize falscher Zauberer überdrüssig sind und strenge und komplexe Leistungen gefälligen Phrasendreschern, die Redlichkeit eines Me-tiers, das seiner selbst sicher ist, der Aufrichtigkeit eines blinden Herzen vor-ziehen, dann begeben wir uns auf einen gefährlichen Pfad, der heutzutage ausschließlich, auf je eigene Weise, durch das Werk Strawinskys und das Werk Ravels erhellt wird. Dasjenige Ravels markiert die Kontinuität einer Ästhetik, die man berücksichtigen muss, wenn man einen Sinn hat für französische Tra-dition.64 Der Vergleich Ravels mit Strawinsky hat ein Fundament im kompositorischen Sach-verhalt.65 Er kann dazu dienen, das Spezifische der Poetik Ravels resp. Strawinskys zu bestimmen. Bei Roland-Manuel hingegen sind beide Komponisten Repräsentan-ten eines ästhetischen Programms. Im Lichte einer angenommenen ästhetischen Kontinuität des Neoklassizismus entsteht das Bild einer kontinuierlichen komposi-torischen Entwicklung Ravels dadurch, dass alles, was nicht zur unmittelbaren Vor-geschichte taugt, zum zu korrigierenden Durchgangsstadium erklärt und margina-lisiert wird. Ravels Werk zerfällt so in zwei Teile. Der Anteil, der nicht in die Herlei-tung passt, bleibt unbegriffen.66 63 Puri 2007.64 » Dans la mesure où nous recherchons une ligne plus nette, un dessin plus franc, un discours musical plus incisif; dans la mesure où nous éprouvons le besoin, non pas d’un retour au classicisme, mais d’un nouveau classicisme; dans la mesure où, las des prestiges faciles des faux enchanteurs, nous préférons les rigoreux tours de force des bons acrobates et la loyauté d’un métier sûr de soi à la sincérité d’un coeur aveugle, nous nous engageons sur un sentier périlleux qu’éclairent seulement aujourd’hui, chacune à sa manière, l’oeuvre de Strawinsky et l’oeuvre de Ravel. Celle de Ravel marque la continuité d’une esthétique qu’on ne peut pas négliger quand on a le sens de la tradition française « (Roland-Manuel 1925b, S. 3).65 In der Ravel-Monographie von Marcel Marnat (Paris 1986) sind die Berührungspunkte zur Grundla-ge des Ravel-Bildes gemacht.66 In diesem Sinne nennt Roland-Manuel » den Komponisten der Mallarmé-Lieder « einen » Gefangenen der Ravelschen Perfektion « . » On devine seulement que le compositeur des ›Poèmes de Mallarmé‹, prisonnier de la perfection ravelienne, touche à l’époque climatérique où les grands créateurs sont