222 Thomas Kabisch *Die Analyse der » Bourrée fantasque « , die zeigt, dass die Unberechenbarkeit der De-tails Widerpart wie Teil des formalen Kalküls bei Chabrier ist, schafft und schärft den Blick für die spontanen und unvermittelten Wendungen, die sich im Innern der Musik Faurés zutragen. Indem das unangepasste Detail bei Chabrier krass hervor-tritt, wird die formale Integration als Problem sichtbar, das bei Fauré von selbst, durch die ausgleichende Natur des Komponisten, gelöst zu sein scheint, in Wirk-lichkeit jedoch – genau wie bei Chabrier – durch die Unbotmäßigkeit der Einzelheit erst gestellt ist und seinen Sinn erhält. Bei Fauré ist es Sache metrischer und harmonischer Ambivalenz, die oft durch unberechenbare Mittelstimmen, generell: durch das lineare Satzmoment entsteht, für die erforderliche Störung des inneren Friedens und für unvorhergesehene Ent-wicklungen und Ereignisse zu sorgen.81 Was das Liedschaffen betrifft, so hat Vladi-mir Jankélévitch auf die metrische Ambivalenz in » Les Berceaux « , die » Enharmonie von Berceuse und Barcarolle « hingewiesen.82 Jankélévitch führt in seinem Fauré-Buch auch zahlreiche Beispiele für » zirkuläre Modulationen « 83 an, die der Ravel-schen Beschreibung direkt entsprechen und die im Kreis gehen, weil sie harmoni-sche Konsequenzen solcher Störfälle sind. Die unmittelbare Nähe zu Chabriers Ver-fahren lässt sich an » Le Secret « , op. 23, 3 (1880/81) zeigen, einem Lied, das von Ra-vel zu Faurés schönsten gezählt wird und sich, wie er schreibt, durch eine besonde-re Balance von » melodischem Umriss « und » Feinheit der Harmonien « auszeichnet.84 Das Lied besteht mit einer einzigen kurzen Ausnahme durchweg aus Halbkadenzen in der Grundtonart Des-Dur und hat das Vermeiden von Modulationen zum » The-ma « .Notenbeispiel 3: Fauré, » Le Secret « , T. 1f. und 7f. Satz: Folker Froebe 81 Zu entsprechenden Beispielen aus dem Instrumentalwerk, etwa dem Sechsten Nocturne, vgl. Ka-bisch 1996 und 2000.82 Jankélévitch 1974, S. 80.83 » modulations circulaires « (Jankélévitch 1974, S. 244). Zur Zirkularität bei Fauré vgl. auch die Seiten 59, 76, 241 u. a.84 » contour mélodique « , » subtilité des harmonies « (Ravel 1922, S. 24 bzw. 216).