Französische Musik vor und nach dem Ersten Weltkrieg 225 » Au cimetière « , komponiert 1888 auf einen Text von Jean Richepin,88 ist nicht nur alles andere als repräsentativ für die durchschnittliche Ausdrucks- und Tonlage ei-nes Fauré-Liedes; der pathetische Mittelteil stößt, selbst unter Freunden und Ken-nern der Musik Faurés, gewöhnlich auf massive Vorbehalte. Jean-Michel Nectoux kritisiert:Der Mittelteil von » Au cimetière « steht in gewaltsamem Kontrast zur Heiter -keit der ersten Strophe; in einem declamato mit lastender Akzentuierung der Zählzeiten wird die ein wenig gefällige Beschwörung der im Meer verschwun-denen Seefahrergruppe bis zum Fortissimo gesteigert. Sicherlich besitzt Riche-pin nicht Verlaines Zurückhaltung, und wenn er auf Kommando den Ton stei-gern muss, verfällt Fauré ziemlich rasch in Bombast.89 Dennoch zieht Ravel gerade dieses » untypische « und » problematische « Werk zur Erläuterung dessen heran, worin er den springenden Punkt des Fauréschen Kon-zepts von Expressivität sieht und was er an ihm besonders schätzt. Um Ravels Über-legung zu verstehen, muss der Nachweis geführt werden, dass nicht nur die poeti-sche Konzeption im allgemeinen an dem Stück verdeutlicht werden kann, sondern dass es als musikalische Komposition konsistent ist und » funktioniert « . Insbesonde-re stellt sich die Frage, welche Rolle die » partie centrale « spielt.Der Mittelteil des Liedes beinhaltet einerseits eine Steigerung des unmittelbaren Ausdrucks, andererseits stellt er eine Reduktion dar, was den Grad musikalischer Differenzierung angeht: ein Klaviersatz aus taktweise wiederholten emphatischen Gesten; in der Singstimme insistierende Deklamation auf einem Zentralton mit obe-rer und unterer Wechselnote und einem starren rhythmischen Modell, das mit stei-gender Intensität der chromatischen Sequenzen an Kontur verliert. Von der komple-xen Verschränkung akkordischer und linearer Struktur, wie sie etwa die Takte 1–6 enthalten, keine Spur.cimetière‹ à ›Ich grolle nicht‹ où Schumann dépasse semblablement les frontières de son lyrisme intime. Bien que le contraste voulu par le poète soit plus grand ici que dans le lied schumannien, la ligne de cette pièce sombre et mouvementée ne fléchit pas un instant « (Ravel 1989, S. 324).88 Vgl. Faurés Brief an die Comtesse Greffulhe vom 23. November 1888, in: Fauré 1980, S. 143f.89 » La partie centrale de ›Au cimetière‹ contraste violemment avec cette sérénité (sc. de la 1re strophe); un declamato pesamment accentué sur les temps enfle jusqu’au fortissimo l’évocation quelque peu complaisante des corps de marins disparus en mer. Assurément, Richepin n’a pas la discrétion de Verlaine et, lorsqu’il doit hausser le ton sur commande, Fauré tombe assez vite dans la grandi -loquence « (Nectoux 1990, S. 186f.).