Französische Musik vor und nach dem Ersten Weltkrieg 231 Notenbeispiel 6: Ravel, » Le Martin-Pêcheur « , T. 9–13. Satz: Folker Froebe te Gestalthaftigkeit und vorgängige Hör-Erfahrung in sich begreift. Sie wird aber von der Kraft musikalischer Autonomisierung, der Tendenz zur Entsemantisierung genauso ergriffen wie das Parlando zu Beginn des Liedes, allerdings auf charakte-ristisch verschiedene Weise. Handelte es sich dort darum, ein » vor-musikalisches « , sprachbestimmtes Gebilde motivisch, metrisch und satztechnisch zu spezifizieren, so wird der Fremdkörper Polonaise musikalisch dadurch bewältigt, dass er eine zweite, analoge Liedhälfte auslöst, die sämtliche musikalischen Prozesse des Liedes zusammenfasst und so die Polonaise selbst mit anderen, autonomen Mitteln über-bietet. Der Schluss erweist sich als Tonika zu der V. Stufe, in die die Polonaise mün-dete; das rhythmische Modell der Polonaise wird im Schlussteil mit der Folge Hal-be–Viertel beantwortet, der perfekten Darstellung des ¾ -Taktes; der maximalen Dif-ferenzierung der Begleitung in hierarchisch bezogenen Schichten, wie sie in der Po-lonaise begegnet, entspricht in der Schlusskadenz die Versöhnung linearer und har-monisch-funktionaler Momente, die vom Beginn des Liedes an in Widerstreit bzw. wechselseitiger Indifferenz befangen waren.*Die Flexibilität des Tonsatzes, die den mehrfachen Prozess von Semantisierung und Ent-Semantierung und auch den besonderen Effekt der Polonaise möglich macht, wird durch das Zusammenwirken dreier relativ autonomer Ebenen erreicht: (a) ei-ner strukturbildenden Intervallzelle aus Quart und Sekund, (b) der partiell hierar-